Interview mit Peter Wespi

Artikel in 'Interviews', hinzugefügt von matthiAS, 13.Februar.2008. Current view count: 79586.

saxophonforum.de: Im Forum tummeln sich bekanntlich viele 'Late Bloomer'. Was kannst du diesen mit auf den Weg geben?

Peter Wespi: Ich arbeite sehr gerne mit Späteinsteigern zusammen, da ist jeder und jede eine neue Herausforderung. Anders als bei der Arbeit mit Kids bringen Erwachsene völlig unterschiedliche Voraussetzungen mit sich. Da kann man nicht mehr einfach nur die Saxophon-Schule aufschlagen und mehr oder weniger von vorne bis hinten durcharbeiten. Bei jedem Schüler muss da anders gearbeitet und vorgegangen werden.
Späteinsteiger sind meistens sehr interessiert und wollen sich mit diesem Vorhaben meistens einen lange gehegten Traum erfüllen. An der Motivation fehlt es daher bei diesen Leuten nicht. Sehr oft sind es Leute, die in ihrem Leben (Beruf und Privat) schon einiges geleistet und erreicht haben und sind es sich daher nicht gewohnt, in einer neuen Situation ganz unten anzufangen. Sehr oft haben Personen mit Führungsqualitäten und -Aufgaben in ihrem Job Mühe damit, sich belehren zu lassen. Aber diese Macke bremse ich üblicherweise sehr schnell und elegant aus.
Das eigentliche Hauptproblem bei Späteinsteigern ist die latente Ungeduld! Ich habe es nicht nur einmal erlebt, dass bei der dritten oder vierten Lektion der Spruch "ich komme ja überhaupt nicht vorwärts" kommt. Und meistens wird dies noch mit der Aussage "Bei dir tönt es viel besser" untermauert! Na hoffentlich auch, schliesslich habe ich da über 20 Jahre Vorsprung.

Meine ultimativen Tipps für Späteinsteiger:

1. Zeit
Arbeitet seriös und lasst euch dabei viel Zeit! Musik ist eine Sprache und das Saxophon ist unser Sprachorgan dazu. Hinzu kommt, dass Musik eine eigene Schrift beinhaltet, was in etwa vergleichbar ist, wie wenn man z.B. Arabisch sprechen und lesen lernt. Überlegt euch, wie lange es dauert, bis ein Mensch angefangen mit Baby-Geplapper über Nachsprechen sich die Sprache entwickelt.

2. Analyse
Nehmt euch beim Üben viel auf und vergleicht z.B. sechs verschiedene Versionen des gleichen Stückes über einen Zeitraum eines Jahres aufgenommen. So sind die kleinen Fortschritte besser festzustellen. Ebenso besteht weniger die Gefahr, dass man sich unbemerkt Macken aneignet. Musik ist die Kunst der Zeit und jeder gespielte Ton ist weg, nicht mehr zu korrigieren. Ein Kunstmaler hat es da viel besser: Ein paar Schritte zurück, Bild betrachten, Korrekturen anbringen, wieder betrachten usw. Im Gegensatz dazu haben wir da einen Saustress: Beim Produzieren von Live-Musik kommt alles aufs Mal und muss JETZT verarbeitet werden. Die modernen Aufnahmemöglichkeiten geben uns jedoch annährend die Möglichkeit eines Kunstmalers. Nutzen wir doch diese Hilfe!

3. Think Positive!
Sicher möchte jeder nach möglichst kurzer Zeit gut spielen können. Wie oben bereits erwähnt muss man sich viel Zeit lassen. Aber auch hier kommt Sokrates in Spiel: Je mehr man kann, umso mehr merkt man, dass man noch nichts kann. Diese Feststellung wird nach vielen Jahren immer noch ihre Gültigkeit haben. Wir haben einzig die Möglichkeit, sie zu akzeptieren und damit zu leben.
Was bei Späteinsteigern diesbezüglich sehr oft hilft, ist die umgekehrte Denkweise: Lass dich nicht vom ganzen Berg, den du noch vor dir hast, entmutigen! Stattdessen erfreue dich an dem, was du bereits erlernt hast und sei stolz auf diese seriös erarbeitete Basis, denn die beständigsten Häuser wurden nur auf solchen festen Fundamenten erbaut.



saxophonforum.de: Bekommst du vor Auftritten schlotternde Knie, hast du mit Lampenfieber zu kämpfen?

Peter Wespi: Diesbezüglich habe ich heute absolut keine Probleme und bin sehr froh darüber. Früher hatte es dies zwar schon gegeben, jedoch in einem absolut erträglichen Mass: ein Bisschen schweissige Hände, Kribbeln im Bauch und das Herz pochte etwas lauter als sonst.
Heute gibt es manchmal schon wieder Situationen, wo ich mit einer Portion Nervosität rechnen müsste. Ein Beispiel: Mitte Dezember hatten wir mit unserer New Orleans Marching Band und einer Tanzgruppe zusammen eine Show. Wir spielten drei Blocks und konnten das Programm auch nicht nur ein Mal 1:1 durchgehend proben. Ich selber hatte da die Verantwortung über die Koordination des gesamten Ablaufes und die Leitung über die beiden Gruppen. Zu alledem hatte ich noch den Job für den Sound-Mix, wir spielten zum ersten Mal mit meinem neuen PA und einem erstmals gemieteten Set mit 10 drahtlosen Mikrophonen. Das ist im ersten Moment schon krass, denn jeder und jede richtet sich nach einem und man ist DIE zentrale Figur schlechthin. Aber da war einfach bereits zu viel, woran ich denken musste und für Nervositäts-Gedanken hatte es schlicht keinen Platz mehr. Bereits während den letzten paar Takten eines Stückes musste ich mir das nächste in Erinnerung holen. Und es ist nicht ganz einfach, sich während dem Spielen sich einen anderen Song in einer anderen Tonart, einem anderen Stil und einem völlig anderen Tempo vorzustellen, damit es möglich ist, in den Applaus des Publikums einzuzählen. Und das Ganze läuft noch komplett ohne Noten. Es war zwar keine Nervosität zu spüren, aber eine gewisse Spannung vermischt mit höchster Konzentration bis zum letzten Ton liessen mich schon ermüden.
In unserem Theorie-Buch widmen wir auch ein Kapitel über das Spielen vor Publikum. Es heisst 8 kleine Tipps für grosse Konzertmeister und der erste Tipp ist meines Erachtens der wichtigste: Das beste Mittel gegen Lampenfieber ist viel und vor allem richtig üben. Man schon kann versuchen, mit irgendwelchen Mitteln und Techniken gegen Nervosität anzugehen und es gibt ja einige davon. Wenn das Stück aber nicht 100% sitzt, dann kann man sich am Ohr ziehen und meditieren, wie man will - das bringt nix! Sicherheit erlangt man nur durch üben und Gelassenheit beim Spielen vor Publikum kommt nur durch viel Spielen in der Öffentlichkeit.
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