"learn your licks" - Meinungs- und Gedankenaustausch

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von JazzPlayer, 30.August.2016.

  1. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Saxophon-Freunde,
    Ich bin gerade dabei, meine Art zu Üben umzustellen und mir dafür eine Routine mit der Ausrichtung auf ii-V-I zu überlegen. Tonleiterübungen sind natürlich die Grundlage und an Ideen und Konzepten hierfür mangelt es mir eigentlich nicht.
    Die Frage ist eher, wie man dann einen Schritt weitergeht. Mit dem Tonmaterial einfach drauf loszuspielen hat sich bisher für mich nicht als Königsweg offenbart. Da werde ich auch noch mit meinem Lehrer drüber sprechen, zum Glück sind ja jetzt die Schulferien vorbei.

    Mich beschäftigt im Moment konkret folgender Aspekt, den ich hier gerne zum offenen Meinungs- und Gedankenaustausch stellen möchte:
    Über's Netz bin ich an mehreren Stellen auf den Ratschlag von Profis gestoßen, sich ein Repertoire aus Licks aufzubauen. In der Praxis hat es wohl Vorteile, wenn man einer Improvisation aus dem eigenen Repertoire heraus Ankerpunkte geben, bzw. sich mit dem Einstieg selbst etwas behelfen kann, indem man erstmal auf Bekanntes zurückgreift. Auch das gelegentlich eingestreute Blueslick ist so ein Stilmittel.
    Verkehrt kann diese Herangehensweise also nicht sein, auch wenn man dann "im Gefecht" etwas aufpassen muss, dass man es nicht übertreibt und zu abgenudelt klingt.

    Interessant ist für mich jetzt die Frage: kann man durch das Erlernen von Licks, sei es durch eigene Komposition, Transkription oder aus einer Sammlung (Beispiel), die eigene Improvisationsfähigkeit voranbringen? Hat man dadurch sowas wie praxisorientierte Tonleiteretüden, die vermitteln, wie man sich durch eine Verbindung bewegen kann? Ist das ein Weg, wie man lernt, aus Tonmaterial Musik zu machen?

    Man möge mich nicht falsch verstehen: Ich glaube nicht an die Existenz der einzig wahren Killerübung, oder dass es ein Buch gibt, aus dem man nur genug spielen (und dabei natürlich ein bisschen mitdenken/analysieren) muss, damit man zu einem super Improvisator wird. Ich suche gewissermaßen nach einem möglichen Bindeglied zwischen der Vielfalt an systematischen Tonleiteretüden einerseits und der freien Improvisation andererseits. Was ich meine, läuft im Englischen häufig unter so Überschriften wie "developing a jazz language" oder "building a jazz vocabulary".

    Ich hoffe natürlich auf rege Beteiligung, sowohl von Anfängern als auch von Fortgeschrittenen oder Profis.
     
  2. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Spannendes Thema, weil ich mich damit gerade in meinem Saxophone Workout 2, ausgiebig beschäftigt habe.
    Zweigleisig fahren, ist nicht das Schlechteste, denke ich. Wer sich erstmalig mit dem Thema befasst, tut sich sicher nichts Schlechtes, wenn er ein paar IIVI-Verbindungen durch alle Tonarten nudelt und sie praktisch über einen Standard übt. Meiner Meinung nach sollte man sich dann baldigst ein Solo suchen und es gnadenlos auseinandernehmen. Wenn man es richtig gut anstellt, dann kann man enorm von einer Transkription profitieren (Blueslicks, IIVI-Verbindungen, Phrasierung, etc.). Ich lasse meine Schüler ganze Chorusse einmal rund um den Quintenzirkel spielen. Das macht mal fit.:D
    Transkribieren ist wohl der Weg, der am ehesten dazu dient, sich ein Vokabular aufzubauen und die Jazzsprache samt Rhythmus zu verinnerlichen. Man kommt nicht darum herum. Und hat man damit erst angefangen, bringt es irren Spaß, denn Du selbst entscheidest, was für Phrasen Dir gefallen und was für ein Improvisateur Du schlussendlich werden möchtest.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 30.August.2016
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  3. RomBl

    RomBl Guest

    Aus Sicht eines fortgeschrittenen Anfängers:

    Interessant ist für mich jetzt die Frage: kann man durch das Erlernen von Licks, sei es durch eigene Komposition, Transkription oder aus einer Sammlung (Beispiel), die eigene Improvisationsfähigkeit voranbringen?
    Ja, definitiv - die Erfahrung habe ich auch gemacht. Ich habe nur das Problem damit, dass ich mir Licks nur sehr schwer merken und vor allem in eine Improvisation einbauen kann. Das ist aber Übungssache, wie alles beim Saxspielen.
    Es gibt auch Lehrer, die sagen, dass Licks der Tod jeden Solos und der eigenen Kreativität sind. Dieses Statement lasse ich auch gelten, da das Wort "Improvisation" von der Sache her bedeutet, etwas unvorbereitet aus dem Stegreif zu spielen. Das Problem ist, dass das recht schlecht belangsloses Gedudel sein kann.
    Ich denke, die richtige Kombi aus Licks und Kreativität macht die Impro - da arbeite ich dran.

    Hat man dadurch sowas wie praxisorientierte Tonleiteretüden, die vermitteln, wie man sich durch eine Verbindung bewegen kann?
    Mit allen Dur- und Moll-Tonleitern und Brechungen muss man einfach flexibel umgehen können. Mit den Leitern habe ich keine Probleme, mit zusammenhängenden Tönen auch nicht, nur beispielsweise bei Reihen mit Sprüngen. Ich denke, das ist aber normal und (wie immer) Übungssache.
    Auf einem Workshop letztens wurden uns die ersten 2 Bücher von Joseph Viola (Technique of the Saxophone - Band 1 Scale und Band 2 Chords) empfohlen. Nicht ganz einfach (Tempo kann man ja frei wählen, vor "viel schwarz" darf man sich nicht abschrecken lassen), aber recht effektiv - viele Phrasen kann man auch gut für Licks im eigenen Solo verwenden. Ich arbeite da recht intensiv mit z.Z. und kann da einiges positives rausziehen.

    Ist das ein Weg, wie man lernt, aus Tonmaterial Musik zu machen?
    Wichtige Bestandteile des Weges sind a) viel Musik hören und b) selber viel improvisieren. Neben dem Übemodus ist der Spielmodus sehr wichtig, bei dem man zum Playalong improvisiert.
    Ich habe gute Erfahrung damit gemacht, das Improvisieren mit mehreren Leuten zu üben (zu zweit und max. zu dritt), d.h. immer abwechselnd eine Impro zu spielen. Das hat den Vorteil, dass man nicht immer am Zug ist und Stress dadurch hat, sich mal zwischendurch Gedanken über den nächsten eigenen Chorus machen kann, sich auch mal Ideen vom Mitspieler "klauen" kann und unter einer gewissen "Beobachtung" und Kritik der Mitspieler steht und daher nicht so wurschtig an die Sache rangeht. Wir haben hier in Berlin einen Kreis mit super Leuten, wo das regelmäßig (1x die Woche) sehr gut klappt.
     
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  4. Saxophonia

    Saxophonia Ist fast schon zuhause hier

    Wahrscheinlich gibt es viele Wege zur Improvisation - und jeder muss den eigenen für ihn passenden Weg finden.
    Mir hilft es eher, wenn ich mit bestimmtem Tonmaterial - z.B. D-phrygisch oder verminderte Vierklänge usw. - erstmal über einen Drone improvisiere.
    Und danach dann über geeignete Akkordfolgen im iReal Pro (kann man sich ja selbst zusammenstellen).
    Das hat mich sehr vorangebracht, weil ich dann auch zuerst innerlich höre, was ich spiele, und nicht einfach irgendwelche Klappen drücke. Ich versuche mir dabei, auch bestimmte Intervalle bzw. Tonfolgen zu merken, die mir in Kombination mit bestimmten Akkorden/Akkordfolgen besonders gefallen. Somit können natürlich auch Licks entstehen, aber es sind dann "meine" Licks.
    Und ich übe Dorisch, phrygisch, Ganztonleitern, bestimmte Vier/Fünklänge über die ganzen Skalen. Dann bekomme ich ein "Gefühl" für phrygisch, für HTGT usw.

    Ich denke aber, dass es durchaus auch was bringen kann, Licks zu üben. Nur sollte das - meiner Meinung nach - lediglich dazu dienen, das Repertoire an Möglichkeiten zu erweitern. Und nicht, sich auf einen bestimmten Stil / ein bestimmtes Muster zu beschränken. Sonst würden ja Improvisationen über Standards, die ähnliche Akkordfolgen haben, immer gleich klingen. Ausserdem braucht das Üben von Licks sehr viel Zeit - und die hat man als Amateurmusiker leider meistens nicht gerade im Überfluss .

    Wenn ich schliesslich frei über einen Standard improvisiere (also nicht übe), weiss ich vorher nicht, was ich spielen werde. Das hängt bei mir ganz von meiner Stimmung ab. Kann sein, dass ich plötzlich eine Tonfolge einflechte, mit der ich mich mal beschäftigt habe - aber das kommt dann für mich selbst überraschend. All diese Übungen sollten ja letzendlich dahin führen, dass sie einem irgendwann ganz intuitiv (aber nicht automatisch) beim Improvisieren zur Verfügung stehen.
     
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  5. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Es ergibt Sinn, Licks in allen Tonarten zu üben, wenn man die Fähigkeit hat, sie im Ernstfall zu vergessen. Bewusstes Zurückgreifen auf ein auswendig gerlerntes Lick ist Nonsens, das geht viel zu langsam.
    Ich verwende ein Bild meines Coaches: Als seine kleine Tochter gerade zu sprechen begann, war das einzige Wort, das sie mit Sicherheit konnte, "piscina" - Schwimmbad.
    Sie gebrauchte dieses Wort zu jeder - meist jedoch unpassenden - Gelegenheit.

    Mit freundlichen Grüßen, Tom
     
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  6. CBlues

    CBlues Strebt nach Höherem

    Moin,
    das nenne ich mal ein interessantes Thema !
    Ich finde schon, das man sich ein gewisses Vokabular erarbeiten sollte. Bestimmte Phrasen oder Licks sollten schon parat sein um diese bei Bedarf ein zu setzen.
    Wie man(n) sich das Zeug dann drauf schafft, sollte jeder für sich finden, oder einfach mal bei den anderen spicken.
    Ich habe lange Zeit stumpf zu Playalongs gedudelt.
    Manchmal checke ich aber auch nur ein paar Tonfolgen ohne Begleitung aus um zu hören wie das klingt.
    Mit anderen jammen , und auszutauschen ist natürlich der Königsweg, wenns passt.
    Was bei sowas nicht fehlen sollte ist die Rythmik.
    Am Freitag bei der Generalprobe vorm Auftritt hat es beim Solo zwischen unserem Drummer und mir geFunkt...
    ...ne ganze Zeit haben wir uns Phrasen um die Ohren gehauen und ich hab dabei nur f, e, und d gebraucht.

    LG.,
    Lothar
     
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  7. RomBl

    RomBl Guest

    Das ist der Punkt - die Finger müssen automatisch laufen, das Gehirn kann sich dann mit "was Angenehmen" beschäftigen und kreativ arbeiten ...
    Aber um dahin zu kommen, muss man Licks spielen, spielen, und nochmal spielen.
     
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  8. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Ich wiederhole mich da gerne :)

    Für mich ist Musik, i.B. Improvisation lernen im hohen Maße vergleichbar mit Sprache lernen.

    Da lernst Du Vokabeln, Grammatik und Phrasen/Redewendungen (---> licks), die Du dann beim Sprechen 1:1 nutzt oder eben auch abwandelst und mit weiterem Fortschritt dann auch neue "kreierst" :)


    Cheerio
    tmb
     
  9. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Hatten wir schon, aber für die, die es noch nicht kennen:

    Man kann ja erst einmal mit einem Lick anfangen:



    Grüße
    Roland
     
  10. Viper

    Viper Ist fast schon zuhause hier

    da könnte doch beim nächsten TOTM jeder "The Lick" in sein Solo verstecken...;)
     
  11. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Nein, muss man nicht.
    Man könnte auch versuchen, sich die Elemente einer oder mehrerer "Sprachen" (z.B. Bebop) anzueignen, zu verstehen.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir ein Werk wie "Developing Bebop Lines" oder "Intervallic Improvisation" wesentlich mehr bringt als ein Buch wie "Hip Licks".
    Allerdings habe ich mich auch jahrelang mit Büchern wie "Patterns for Jazz" beschäftigt, die ich auch für wesentlich sinnvoller halte.
    Auch zu definieren ist, was unter Improvisation verstanden wird. Ein Chorus oder gar nur ein A-Teil in einer Pop- oder Bigbandumgebung, oder Raum für echte Improvisation.

    Mit freundlichen Grüßen, Tom
     
  12. Bloozer

    Bloozer Strebt nach Höherem

    Wo @Tom Scott gerade die Hip Licks erwähnt, ich finde gerade die vielen rhytmischen Muster, die in diesen licks stecken unheimlich interressant und bereichernd.☺
     
  13. Saxfreundin

    Saxfreundin Strebt nach Höherem

    Das Schlüsselwort ist:

    :)
     
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  14. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Erstmal vielen Dank für die zahlreichen, tollen Beiträge. Es freut mich, dass ich da bei dem Ein oder Anderen anscheinend den richtigen Nerv getroffen habe. Die Rückmeldungen bestärken mich darin, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wenn auch nur als Teil eines umfassenderen Programms.

    Ich bin natürlich auf weitere Beiträge gespannt!
     
  15. saxhornet

    saxhornet Experte

    Licks können helfen eine Stilistik zu lernen oder melodische und harmonische Zusammenhänge zu begreifen. Verinnerlicht man sie, so daß sie ein Teil von der eigenen Sprache werden und man benutzt sie unbewusst weil man es an der Stelle gerade innerlich so voraus hört, finde ich das ok.
    Aber im Rahmen vom Improvisieren sie gezielt in einem Solo bewusst einzusetzen hat mit Improvisation in meinen Augen nichts zu tun, sondern geht in die Richtung Malen nach Zahlen.
    Licks lernen und von Ihnen lernen, super. Sie bewusst einsetzen und gezielt im Solo benutzen, Nein danke, es sei denn es ist nur zu Übungszwecken (hat dann aber wieder mit Improvisation gar nichts zu tun).
     
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  16. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Hmm, diese Unterscheidung habe ich jetzt schon oft gelesen, aber je länger ich darüber nachdenke, desto weniger leuchtet mir das ein. Wenn ich im Schach Eröffnungen oder taktische Motive studiere, dann tue ich das, um sie bei passender Gelegenheit in einer Partie einzusetzen. Wenn ich beim Tischtennis bestimmte Schlagarten trainiere, dann tue ich das, um diese Schläge beim nächsten Match auch einzusetzen.

    Wenn ich Licks trainiere, warum soll ich sie dann nicht auch einsetzen? Nicht um jeden Preis, sondern wenn es eben passt. Ob das Ganze auf einer bewußten oder unterbewußten Ebene abläuft, ist doch eher eine Frage des Levels, den man als Spieler erreicht hat. Der Profi wird nicht groß darüber nachdenken, der Anfänger versucht vielleicht bewußt etwas abzurufen, was er sich gerade antrainiert hat. So what?
     
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  17. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Weil es zu langsam geht, und weil Du Deine Möglichkeiten beschränkst, Deine Muse fesselst.
     
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  18. saxhornet

    saxhornet Experte

    Naja, der eine malt halt nach Zahlen und hält das für Kunst und der andere malt halt ein Bild, das er vor seinem inneren Auge sieht.
    Der Weg Patterns ins Solospiel zu integrieren (die nicht Teil der eigenen Sprache und Teil des eigenen Sprachrepertoires geworden sind) führt nicht zum interessanten kreativen Spiel, wo die Spieler aus sich heraus das spielen was sie voraushören, sie setzen nur ein auswendig gelerntes Melodieteilchen ein. Kreativität und Eigenleistung: nahe null.
    Es gibt aber auch Leute, die glauben eine Maggitüte aufreissen und in heisses Wasser kippen wäre Kochen.
     
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  19. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Ihr habt vergessen, was es bedeutet, Anfänger zu sein....
     
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  20. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ich kenne Leute, die das schnell genug hinbekommen würden. Sowas klingt aber musikalisch tot und selten schaffen es Spieler ein gutes Solo dadurch zu erschaffen, daß sie auswendig gelernte Patterns aneinanderreihen.
    Und die Beschreibung es fesselt die Muse trifft es sehr gut, da ist gar keine Muse überhaupt anwesend bei sowas, die ist dann schon nach Hause gegangen.
     
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