Ne saublöde Frage: Was ist eigentlich Jazz?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von saxsten, 9.November.2019.

  1. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Kategorisierung ist ein probates Mittel der Komplexitätsreduktion. Da die Umwelt komplexer ist als das Individuum, muss das Individuum die Komplexität herunter brechen. Wenn man auch noch interindividuell kommunizieren möchte, ist es notwendig, wenn beide Individuen in etwa die selben Kategorisierungen benutzen.

    Von daher ist die Frage m.E. durchaus berechtigt.

    Wenn ich ein "Dark Wave" oder ein "Led Zeppelin Tribute"-Konzert besuche, habe ich gewisse Erartungshaltungen. Bach oder Ellington wäre da eher fehl am Platz. Unabhängig von der Qualität der Musik und persönlichen Präferenzen.

    Grüße
    Roland
     
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  2. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Das geht vielen so. Meine Frau ist auch der Meinung "Ich mag keinen Jazz". Aber wenn ich die "weniger konfusen" Sachen spielen lasse, dann kommt ein "jö, schöööön!".

    Das was Tim Hardin in seinen Vertonungen der Klassik und Barock Werke macht ist ein gängiges Stilmittel im Jazz. Zuerst wird im Chorus 1 eine klare Melodie präsentiert an der sich der Zuhörer orientieren kann. Dann kommt ein zweiter Chorus entweder als direkte Wiederholung oder leichte Variation des Themas. Wenn sich der Hörer darauf eingestellt hat kommt ein Durchgang in freier Improvisation wo die Künstler die Möglichkeit haben ihre persönliche Ansicht zu diesem Thema zu präsentieren. Am Ende finden wieder alle zur Grund Melodie zurück und das Stück endet wie es begonnen hat. Nach dem Motto "alles ist gut, es ist nichts passiert".

    Je nach Stück variieren alle diese Komponenten.

    Ich glaube Jazz ist mehr eine Einstellung als eine klare musikalische Definition. Das geht mit so ziemlich jedem musikalischen Ausgangs Material. Bei manchen der alten Stücke juckt es beim Hören direkt, dass man musikalisch ausbrechen möchte. Es wundert mich, dass es trotzdem so lange gedauert hat, bis es tatsächlich passiert ist. Vielleicht hat die Initialzündung des Swing schlicht gefehlt. Aber jetzt wo er da ist, kann man ihn sich kaum mehr weg denken.

    Ich empfinde den Jazz so etwa wie die sexuelle Revolution in der Musik. Es darf jetzt endlich auch "nur Spaß machen". Die Befreiung der Musik vom Zwang. Je nach Vorlieben haben es manche lieber sanft und andere lieber wild aber die früheren strengen "Regeln" sind nur noch Orientierungspunkte an die man sich mal mehr oder auch weniger halten kann.
     
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  3. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Jazz wird von Jazzmusikern gespielt. Jazzmusiker sind Musiker, die sich nie merken können, was sie den Tag zuvor gespielt habem. Deshalb müssen sie improvisieren. Und das nennt man dann Jazz! :D
     
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  4. RomBl

    RomBl Guest

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  5. Gelöschte 11056

    Gelöschte 11056 Guest

    Helge Schneider: " Jazzmusiker ist man, wenn man es will".

    Aha.:rolleyes:
     
  6. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Auf die in einem Interview gestellte Frage, warum Alkohol erlaubt und Cannabis verboten sei, antwortete sie einst: „Weil Cannabis eine illegale Droge ist.“
    Marlene Mortler, Drogenbeaufragte der Bundesregierung

    So einfach ist das auch mit dem Jazz, Herr Schneider hat das erkannt. Helge for President!

    Grüße
    Roland
     
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  7. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Ich kenne das als Definition:
    Dann ist DAS möglicherweise die beste Entsprechung dieser Definition auch wenn es viele wahrscheinlich gar nicht zu Jazz zählen würden. Ok, hier sind es sechs Musiker/innen:

     
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  8. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Jazz ist für mich,wenn mehr Musiker auf der Bühne als im Publikum sind ;-)
     
  9. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Genial! Spätestens nach dem 2./3. Lied war klar, in welche Richtung das geht. :) OK, diese Akkordpattern gibt es oft, wenn auch nicht so häufig wie der "Four-Chord-Song". Ich habe mal laut gelacht, als Bach im Radio lief. Irgendwann kam lang ausgedehnte Quintfallsequenz. Nun gut, kennt man ja. Da wird eben jene Quintfallsequenz wiederholt. Ok, kann man ja machen. Und beim dritten mal wird irgendwo ein Halbtonschritt eingbaut und landet plötzlich in einer anderen Quitfallsequenz. Unvermutet links abgebogen. Dieser Bach! :)

    Übrigens meinte meine Frau zur Originalfrage ("Was ist Jazz?"), dass in der Kunstgeschichte auch immer wichtig ist, woher etwas kommt und in welchen Kontext sich etwas entwickelt hat, wenn man etwas verstehen will. Nur, wenn man die historische Entwicklung und deren Randbedingungen versteht, kann man etwas über einen Stil wissen, was über "Ist halt so." hinaus geht. Vorausgesetzt, das "so" lässt sich definieren.

    Grüße
    Roland
     
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  10. scenarnick

    scenarnick Admin

    Bing Crosby und Louis Armstrong fehlen mir noch in Eurer Liste:



    Now you has Jazz :)
     
  11. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Was ist der Unterschied zwischen einem Jazz- und einem Blues-Gitarristen?
    Der Blues-Gitarrist spielt drei Akkorde vor tausend Leuten.

    Im Ernst:
    Jazz ist halt eine Randerscheinung. Klassik auch. Die breite Hörerbasis und das große Geld lauert üblicherweise woanders.

    2017, Umsatzanteile:
    Pop: 28%
    Rock: 19,8%
    Schlager 5,3%
    ...
    Klassik: 3,1%
    Jazz: 1,8%

    Klassik und Jazz zusammen also weniger als Schlager.
    http://www.miz.org/downloads/dokumente/932/2018_Musikindustrie-in-Zahlen_BVMI.pdf
    Seite 40

    Wer allerdings das hören will, was den wenigsten Umsatz macht, nur um sich vom Mainstream abzusetzen, muss die 1,3%-Nische wählen: Volksmusik. :)

    Grüße
    Roland
     
    murofnohp gefällt das.
  12. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Man könnte auch fragen: Was ist Klassik? Ist alles mit Geigen schon Klassik?
     
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  13. RomBl

    RomBl Guest

    Das Video ist ganz nett und erklärt die Sache ganz gut ...

     
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  14. gaga

    gaga Gehört zum Inventar



    Auch schon "traditionell". Überhaupt keine leichte Kost. Swing eher auch nicht. Aber immer Jazz.
     
  15. saxhornet

    saxhornet Experte

    Nach der Definition gibt es kaum Jazz. Als Definition für Jazz genauso unbrauchbar wie eine Bekannte mal formulierte: "Wenn Gesang bei ist, ist es kein Jazz. "
     
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  16. Lagoona

    Lagoona Ist fast schon zuhause hier

    Bei uns zu Hause ist Jazz, wenn meine Frau sagt:
    Schatz, kannst du bitte das Gedudel abstellen?
     
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  17. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Hier ist aber sicher die "Echte Volksmusik" gemeint und nicht die "Volksdümmliche Musik". Und es sind ja auch die Verkaufszahlen, nicht die Hörzeiten. Das Vergütungsmodell für echte Volksmusik ist nicht so monetär.

    Und die Statistik stimmt auch nur an 365,22 Tagen im Jahr.

    Am 24.12 abends steht die "Original echte Volksweise" sehr viel weiter oben in der Statistik.
     
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  18. ppue

    ppue Mod Experte

    Jazz ist die erste Weltmusik auf diesem Planeten. Mittels Schallplatte und Rundfunk, den ersten Vervielfältigungsmedien, erreicht diese Musik Anfang des letzten Jahrhunderst mit einem Mal ein riesiges Pulikum.

    Viele Einflüsse fanden im angehenden 20. Jahrhundert zu einer neuen musikalischen Sprache zusammen: Die abendländische Musiktradition einschließlich ihrer Militärmusik, die im 19. Jahrhundert im Bürgerkrieg gespielt wurde, die schwarzafrikanische Musiktradition, die Musik der Minstrell-Shows, des Ragtime (um die Jahrhundertwende noch im Ensemble gespielt), die Field Songs der Sklaven, der aufkommende Blues, der Gospel, die Musik der Kreolen und der Iren und nicht zuletzt der vorwiegend jüdischen Komponisten.

    Immer im Blickpunkt dabei steht auch der soziale Aspekt derer, die zu der neuen Form des Musizierens gefunden haben. So wurde in den 1920er Jahren den Kreolen die Bürgerrechte aberkannt, worauf diese sich mit den afroamerikanischen Musikern zusammen taten. Vielleicht auch interessant, dass das Schlagzeug erst um 1900 erfunden wurde, das Trommeln war den Afroamerikanern zu dieser Zeit in New Orleans noch verboten, denn sie hätten es als Geheimkommunikation nutzen können. In den Wurzeln entstand z.B. in New Orlewans eine Musiktradition weitab von der bürgerlichen Mitte.
    Letztere fand ihren Weg zum Jazz zum Beispiel in Chicago. Weiße Studenten immitierten den neuen Musikstil, der nun von New Orleans den Mississippi hoch kam.

    Das waren die Anfänge. In den 1930er Jahren, wir sind in der Zeit des Swing und der Bigbands, wird Jazz allgemein gesellschaftsfähig und kommerziell ausgeschlachtet. Die 40er Jahre, es ist Krieg, die Plattenlabel werden bestreikt, steigt der Jazz von der Unterhaltungsmusik zur "Kunstmusik" auf und bleibt fortan eine eher elitäre Musikrichtung, die aber nie ihre sozialen Wurzeln und Ziele, wie die Emanzipation der Afroamerikaner oder auch den Kampf um Friede und Freiheit, nie aus den Augen verloren hat.

    Langer Rede, kurzer Sinn und meine Definition:

    Jazz ist die Musik derjenigen, die in dieser Tradition des Jazz musizieren.
     
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  19. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Jepp, das ist eine tolle Sache, wenn es funktioniert.
     
  20. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Hallo @saxsten

    Ich als gelegentliche und "Erst-vor-kurzem-und-durchs-Sax-entdeckte-Jazzhörerin" kann dir das auch nicht beantworten.

    Jazz hat mehrere Stile mit jeweils eigenen Klang.
    Häufig ist die Liedform AABA vorzufinden. Also Motiv, Motiv wiederholen, Impro, Motiv wiederholen.
    Manchmal aber auch gar nichts von dem -trotzdem Jazz.
    Schwer zu fassen.

    Höre Dir einfach Jazz an. Zum Beispiel von bekannten Saxophonisten Paul Desmond, Cannonball Adderley, Art Pepper und Tenorspieler wie Stan Getz, Sonny Rollins uvm.


    Ich fand anfangs Jazz mit Piano wesentlich (v)erträglicher als Jazz mit Saxophon.
    Da könntest du Dir z.B. Thelonius Monk anhören. Aber auch nicht alles, ich musste immer ein bisschen suchen bis ich etwas angenehm und schön fand.

    Oder die Aufnahmen von Duke Ellington und Count Basie.

    Louis Armstrong und Ella Fitzgerald, wenn man Jazz mit Gesang mag.

    Oder das Album Big Beat von Art Blakey. Vieles davon gefällt mir.
    Oder der Klassiker Kind of Blue von Miles Davies...gefällt mir (noch?) nicht so :-D

    Aber nur durchs Hören gelangt man da nicht hin.

    Was mich letztlich dann für den Jazz begeistert hat, ist die Vorstellung, dass man sich eine Melodie nimmt und diese dann verändert, aber man sie doch immer wiedererkennt.
    Wenn man sich dann n Popsong anhört, dann wundere ich mich..mhmm..passiert gar nichts.
    Es findet eine Veränderung der Hörgewohnheiten statt.

    Also ich finds spannend Jazz zu entdecken und Jazz auf dem Saxophon zu "spielen", ab und an höre ich es auch sehr gerne. Manches, nicht alles. Jazz hat viele Graustufen.
    Aber meine "normale" Musik mag ich immer noch lieber ;-)

    Vllt hilft Dir das ein bisschen. Das sind zumindest die, die ich so gehört habe.

    Grüße,

    Jacqueline
     
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