Schreckliche Musikstudenten

Dieses Thema im Forum "Alto Special" wurde erstellt von Kristina Bossanova, 29.Dezember.2020.

  1. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Formeln auswendig lernen mochte ich auch nie. Aber wie schon da oder dort erwähnt, es geht nicht darum, dass du konkret diese eine Formel soundso oft im Leben anwendest, sondern dass du dich mit der Materie beschäftigst und einen Eindruck davon hast.

    Natürlich ist es immer besser, wenn der Lehrer den Unterricht lebendig gestaltet. Aber davon hängt nicht die Sinnhaftigkeit eines Unterrichtsfaches an sich ab.

    [/QUOTE]
    Aber sobald es ans Lesen von komplexeren Texten geht, hilft mir Latein sehr:
    Access, success, digital, summary, content, response, cognitive, conservative, support, art, form, family - einige spontan eingefallene Latein-Vokabeln im Englischen. :cool:
    [/QUOTE]

    Weißt Du was, da hilft Englischunterricht mindestens so viel...

    Wobei uns als Menschheit namentlich die Hippies nicht wirklich weitergebracht haben - oder in welcher Weise?
     
  2. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Doch, in punkto Haschischrauchen!:cool:
     
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  3. Rick

    Rick Experte

    Sie haben gezeigt, dass man auch radikal anders leben kann als die damalige Mehrheitsgesellschaft, haben sich auf neue Wege gewagt.
    Man ahnt gar nicht, wie viele heute als selbstverständlich angesehene Dinge in Kommunen entwickelt wurden!

    Ein Neffe von mir war in den 1970ern "Hippie", lebte in einem Bauwagen oder zog in einer zum "Wohnmobil" umgebauten Ente durch halb Europa.
    Seinem Opa, meinem Vater, gefiel das, er fühlte sich als ehemaliger "Wandervogel" an seine eigene Jugend nach dem ersten Weltkrieg erinnert, damals hatte es ebenfalls viele "Reformer" wie etwa die Gruppe um Rudolf Steiner oder erste "Künstler-Kommunen" gegeben, bevor die Nazis alles platt machten...
    Nach seiner Hippie-Zeit studierte mein Neffe Architektur und ist heute ein Fachmann für ökologischen, nachhaltigen Hausbau, er restauriert unter anderem Jahrhunderte alte Bauernhäuser in Norddeutschland, die früher einfach abgerissen worden wären (bewohnt selbst so einen uralten Hof aus dem 18. Jahrhundert).

    Und viele IT-Pioniere stammten aus "alternativen Wohnprojekten" der 1960er und 70er. Das war einfach eine kreative Umgebung, in der man schrankenlos denken konnte.
    Natürlich hatte das nicht bei jedem positive Folgen, aber insgesamt scheint mir diese "Hippie-Kultur" grandios unterschätzt zu werden.
     
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  4. ehopper1

    ehopper1 Strebt nach Höherem

    Wir hatten Ende der 1970er im Dorf Zugezogene, die in einem alten, ziemlich baufälligen alten Hof etwas anders lebten als die Alteingesessenen.
    Einer stammte aus Berlin, weshalb man im Ort etwas abfällig von „Den Berlinern“ sprach.
    Sie hatten eine etwas andere Sichtweise auf das Leben, waren aber sehr nett, hilfsbereit, umgänglich und kreativ, vor allem aber sehr musikalisch.
    Für uns Jugendliche war es sehr reizvoll mal etwas anderes zu sehen und zu hören.

    Z.B. verleitete uns ein sehr guter Gitarrist der „Berliner“ dazu eine Band zu gründen.
    Im örtlichen Musikverein wurde das nicht gerne gesehen (obwohl die meisten von uns da auch mitspielten).
    Auch Proberaum-Möglichkeiten hatte man von Vereins- und Gemeinde(rats-)seite stets torpediert.

    Unser Bassist überredete schließlich seinen Vater einen Teil der Werkstatt zur Verfügung zu stellen.
    Trotzdem alles gut isoliert war (selbstverständlich in Eigenarbeit), gab es fortwährend Probleme mit Nachbarn.
    Sie störten sich wahrscheinlich eher daran, dass wir etwas anderes machten als man damals eben von Jugendlichen gewohnt war.
    Obwohl einige von uns auch ganz "normal" im Sportverein aktiv waren.
    Außerdem rückte uns immer mal der Dorfpolizist (Polizeiobermeister Fritz, wir nannten ihn Pomfritz) auf die Pelle, wegen Drogen und so.
    Dabei waren wir eher spießig brav und auch nicht laut (keine PA).
    Unsere Droge war die Musik!

    Wir versuchten uns damals an Sachen wie „Water Melon Man“, „Do It Again“, "Long Train Runnin'" usw.
    Das klang bestimmt nicht gut, machte aber riesig Spaß.

    1982 kam dann ein neuer Bürgermeister, der uns tatkräftig unterstützte.
    Mitte der 80er verlor sich das Ganze leider, weil es uns wegen Ausbildung, Beruf oder Studium in alle Winde verschlug.

    Im März 2019 hatten wir übrigens beim 60. Geburtstag unseres damaligen Drummers ein kleines Revival.
    Es kamen tatsächlich alle!
    Da einige von uns ganz passable Musiker geworden sind, auch zwei Profis, war das eine wunderbare Sache.
    Die Fans (natürlich auch einige von damals) waren total begeistert.
    Und "Long Train Runnin'" klang dann endlich mal richtig funky.:)

    LG
    Mike
     
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  5. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Interessante Geschichte. Kann ich mir, aus einer anderen Generation stammend, gar nicht vorstellen solche gesellschaftlichen Zwänge...
    Heute regt man sich darüber auf, dass die Jugend sowas eben nicht mehr macht.
     
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  6. ehopper1

    ehopper1 Strebt nach Höherem

    Da könntest du recht haben.
    Wir haben hier eine zum Glück eine gute Musikschule, die richtig gute Bandprojekte am Laufen hat.
    Allerdings passiert momentan leider nichts.
    Ich habe trotzdem die Hoffnung, dass nach Ende der Pandemie viele Menschen kreativ(er) werden, weil sie merken dass ihnen etwas gefehlt hat.

    LG
    Mike
     
  7. Rick

    Rick Experte

    Das hat sich in den Online-Bereich verlagert, aber Kreativität gibt es nach wie vor.
    Nur die Jugend-Bands, die man früher selbst und ohne Mitarbeit von "Autoritätspersonen" gründete, wie es @ehopper1 so schön beschrieb, sind heute längst von Musiklehrern betreuten Projekten gewichen.

    Einerseits ganz nett, dass Lehrer so etwas anbieten und mitgestalten, aber das ist eigentlich das Gegenteil dessen, was man früher hatte: selbst ausprobieren, selbst auch mal daneben liegen, Lieder raushören usw. Einfach ohne alle Vorgaben und Regeln kreativ sein! :)

    Unsere örtliche öffentliche Musikschule hat eine "Rock-Band", wo alle brav nach Noten spielen, nicht etwa selbst angefertigten, sondern offizielle Verlagsausgaben - das ist eben nicht mehr der "Spirit" von damals.
    Unter solchen Umständen wären ich und die Mitspieler meiner ersten Bands, von denen übrigens außer mir noch zwei weitere Profis wurden und alle weiter Musik machten, möglicherweise nicht so begeistert bei der Sache geblieben. :rolleyes:

    Vielleicht "fördert man die Jugend kaputt" heutzutage?
     
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  8. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Ich glaube ja eher, dass die Leute eher nicht mehr in der Lage sind, eine Gruppe zu suchen, zu bilden und zu halten.
    Wenns nicht klappt, springt man eben zur nächsten Gruppe.
    Angebote gibt es ja dank den Internetplattformen genug.
    So zumindest mein Eindruck, wenn ich mal die Fühler nach Mitmusikern ausgestreckt habe.
    Da ist es schon zu viel verlangt, mal ne Mail zu beantworten.
    Das ist vllt in der Stadt noch schlimmer als auf dem Land.
     
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  9. Lagoona

    Lagoona Ist fast schon zuhause hier

    Ich hatte die Möglichkeit das von mir gehasste Fach Chemie in der 11. abzuwählen. Es lag an mir, ich war zu faul, der Lehrer war gut.
    « Wenn du 2 Schnitzel hast, und 2 Schnitzel abgibst, dann bist du 2fach positiv an Schnitzeln »
    In der 12. konnte ich mich von Physik trennen, endgültig, was hab ich damals gefeiert, nie wieder Physik!
    Da war es auch der Lehrer.
    Nach dem Abitur und einer kleinen Verschnaufpause, habe ich mich eingeschrieben für das Fach Zahnmedizin.
    Voller Vorfreude die Sachen gepackt und in das nette Mainz gefahren, zur Uni.
    Erstes Semester: Physik und Chemie:grumpy:
    Und wie. Hätte ich nur mal in der Schule aufgepasst, das hätte mir einen platten Hintern erspart.
    Ich musste alles nachholen.
     
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  10. ppue

    ppue Experte

    Klar, wenn man alle pampert aber gleichzeitig unter Kontrolle hält.

    in den 60er/70er Jahren war die Musik der Jugend Protest, egal ob mit den linken Liedrmachern oder den Rockbands. Es war eine Gegenkultur, mit der sich die Jugend identifizieren konnte, ähnlich wie 20 Jahre zuvor der Rock'n'Roll in den USA oder 20 Jahre später die Punkbewegung weltweit.

    Ich sehe eine Friday-for-Future-Bewegung, aber ich habe die Bewegung nicht im Ohr.
     
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  11. ppue

    ppue Experte

    Natürlich gehört der Hip-Hop auch noch in die Aufzählung der Protest-Genres.
     
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  12. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Huiii...

    Die Hippie-Bewegung war aber auch ein wesentlicher Nährboden für die Esoterik (New Age, "Wassermann-Zeitalter",...) , was jetzt nicht gerade ein Fortschritt für die Menschheit ist.
     
  13. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Wenn du das "auch" betonst, stimme ich dir zu. In diesem Sinne war die Jugendbewegung mit Wandervogel und Hohem Meissner "auch" Vorbereiter für Blut und Boden, völkisches Denken und letzten Endes für den Nationalsozialismus.

    Ich bin Teil der Hippiebewegung (Jahrgang 48), die mich über Gesellschaftskritik, Antifa und Vietnamkriegsgegnerschaft geradewegs zu Anti-Atom, Landkommune und Grünen geführt hat. Materialist, völlig unspirituell sowohl die etablierten Religionen als auch die komplette Esoterik betreffend.

    Andere wurden mir damals allerdings seeehr fremd: RAF, Transzendentale Meditation, Backzwang usw.
     
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  14. Rick

    Rick Experte

    Ja klar, aber meiner Beobachtung nach war und ist es nur eine Minderheit - natürlich ausgeschlachtet und breit getreten durch die Medien, die "schreckliche Jugend" eben. :-D

    Das meiste davon gab es allerdings bereits vorher, man denke beispielsweise an die "Spiritismus-Welle" vor über 100 Jahren.

    Richtig, aber damit hatte mein Vater nichts zu tun, "Völkisches Denken" lag völlig konträr zu ihm.
    Du hast natürlich Recht, das war eine sehr bunt gemischte Bewegung - auch was die Geschlechter angeht, so traf er dort seine erste Ehefrau.
    (Vorher im Elternhaus hermetisch von Mädchen abgeschirmt, war das eine völlig neue Welt.) :)

    Er kam durch einen Kameraden aus dem 1. Weltkrieg (im Alter von 19) zu den "Wandervögeln" und gelangte so vor allem in die MSPD, also in damals eher "linke" Kreise.
    Nur um das klar zu stellen, bevor es diesbezüglich Missverständnisse gibt. ;)
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.Januar.2021
  15. Rick

    Rick Experte

    Das ist gewiss wahr, doch ähnlich wie bei @ehopper1 ging es uns damals nicht um Protest irgendwelcher Art, sondern einfach um Spaß und ungebremste Kreativität.

    Da sehe ich auch Parallelen zu den ersten Rappern und dem Beginn der Breakdance-Bewegung etwa zur gleichen Zeit, das war kreative Lebensfreude mit den zur Verfügung stehenden Mitteln - und eben OHNE dass einem besserwisserische Erwachsene ständig reinquatschen: "Ihr macht das ganz falsch, das geht völlig anders."
    So einer hätte uns gerade noch gefehlt. :stop2:

    Das war nun mal die Atmosphäre, in der die "Neue Deutsche Welle" entstand.
     
  16. ppue

    ppue Experte

    Ja, so verschiebt sich das über ein Jahrzehnt. Und so verschiebt sich auch die Sicht auf die unnützen Hippies, wenn man noch weiter von denen entfernt ist. Wir haben alle unsere eigenen Vorstellungen von wahrhaftiger Geschichte. Schön, sich so friedlich darüber austauschen zu können.
     
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  17. ppue

    ppue Experte

    Sind alle noch überzeugt, ob wir bei 333 Isssos, Keilerlei im Geschichtsunterricht anfangen sollten, oder es nicht besser wäre, erst einmal unsere jüngeren und älteren Mitbürger verstehen zu lernen. Sorry, falscher Thread. Aber vielleicht wichtig.
     
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  18. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Weder noch, sondern viel früher... Ägypter? Sumerer? Steinzeit?
     
  19. Rick

    Rick Experte

    Das halte ich für einen sehr sinnvollen Ansatz: Nicht gleich mit Fakten zuschmeißen, sondern erst mal daran gehen, was Geschichte überhaupt ist.
    Geht auch schön mit Erzählungen der Eltern und Großeltern - ich habe jedenfalls aus den Erzählungen meiner Eltern viel über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gelernt, was da geschehen ist und aus welchen Gründen (Vater Jahrgang 1899, Mutter 1922 - da gab es VIEL zu erfahren!).
     
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  20. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Warum nicht? Wir hatten auf dem Gymnasium ab Klasse 6-10 einen Studiendirektor, der wahnsinnig spannend erzählen konnte. Der hat so lebendig erzählt, dass ich ich manchmal geglaubt habe, ich wäre in den Schlachten leibhaftig dabei.

    Mein Gott, was habe ich da z.B. als kleiner Bub gefiebert, ob Alexander der Große gegen die übermächtigen Perser überhaupt eine Chance hätte, dann später die Schlacht im Teutoburger Wald...Bis Ende Klasse 10 waren wir tatsächlich im 20. Jahrhundert bis zur Nachkriegszeit angelangt. Wie es kommen konnte, dass sich Diktaturen wie das Dritte Reich, Stalinismus oder die DDR intalliert werden konnten, hatten wir alle gut verstanden.

    Dieser alterwürdige Studiendirektor hat dafür hat gar keine Medien benötigt. Da gab es keine Arbeitsblätter, Digitalgeflimmer oder sonstiges modisches Medienzeugs von heute. Unterricht einfach von Mensch zu Mensch und dazu noch frei erzählend.
    Von diesem Lehrer konnte ich in punkto Geschichte in der Oberstufe, im Studium und auch bis heute noch profitieren.:cool:
     
    Zuletzt bearbeitet: 16.Januar.2021
    altoSaxo, visir und Rick gefällt das.
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