Das Kreuz mit dem Perfektionismus

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Saxoryx, 17.Oktober.2021.

  1. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Gerade ist das Saxophon-Online-Weekend zu Ende gegangen, und ich bin noch ganz voll von den Eindrücken. War wirklich toll. Aber das sagt glaube ich jeder bei jedem Workshop, denn die Dozenten sind ja immer hervorragende Profimusiker, von denen man viel lernen kann.

    Im Workshop kam jedoch auch das Thema Perfektionismus auf, und dort hat Katrin dann auch dasselbe dazu gesagt, was sie hier in dem Video sagt:



    Perfektionismus ist ein großes Thema, das wahrscheinlich viele von uns betrifft, nicht nur Profis, sondern auch Amateure.

    Im Moment wird mir mein Perfektionismus von meiner Lehrerin ziemlich abgewöhnt, denn bei ihr arbeite ich an keinem Stück und an keiner Etüde länger als eine Woche, höchstens zwei. Ich wollte zum Teil länger daran arbeiten, aber sie sagt, sie findet es wichtiger, dass ich Repertoire aufbaue.

    Selbstverständlich sind das weder lange Stücke noch lange Etüden, sonst wäre das nicht möglich. Dennoch ist wohl kein Stück und keine Etüde nach einer Woche fertig oder so, dass man sie zu den Akten legen kann. Ich übe die Sachen dann zum Teil auch noch weiter, aber da wir jede Woche im Repertoire weitergehen, bleibt dafür gar nicht so viel Zeit. Diese Woche habe ich eine Ferling-Etüde, die nicht einfach ist, aber ich weiß, dass ich nächste Woche trotzdem schon das nächste bekomme.

    Ich habe sehr viel gelernt seit Anfang des Jahres, seit ich Unterricht habe, habe vor kurzem gerade das Examen für Grade 6 abgelegt (Trinity), habe also offiziell das sechste Jahr Saxophonunterricht abgeschlossen. Da ich seit 9 Jahren spiele, bedeutet das, dass ich 3 Jahre zurück bin, aber ich habe zwischendurch lange Zeiten aussetzen müssen. Wenn ich das alles zusammenzähle, spiele ich noch gar keine 6 Jahre. Deshalb bin ich da jetzt ganz zufrieden.

    Das ist auch ein Erfolg meines Unterrichts gegen den Perfektionismus, denn es ist noch gar nicht so lange her, da war ich mit meinem Spiel noch gar nicht zufrieden. Ich hatte immer etwas daran auszusetzen, habe es mir selbst dadurch schwergemacht.

    Das hat sich auch am Anfang des Unterrichts noch gezeigt, aber da hat meine Lehrerin wirklich großartige Arbeit geleistet, indem sie mir das abgewöhnt hat. Ich bin jetzt viel zufriedener mit meinem Sound und mit meinen Fähigkeiten, als ich es noch vor ein paar Monaten war. Wieder einmal ein Beweis dafür, was ein guter Lehrer ausmacht. Und vielleicht auch ein Beweis dafür, dass Perfektionismus nichts bringt. Zumal, wenn man kein Profi ist und die Sachen, die man übt, nicht in einem Konzert oder bei einem Auftritt vortragen muss, für den man bezahlt wird.

    Hohe Ansprüche habe ich trotzdem weiter an mich. Ich will von Woche zu Woche besser werden. Aber ich sehe auch, dass ich seit Anfang des Jahres tatsächlich besser geworden bin. Was ich vorher nie so richtig wahrgenommen habe. Ich habe immer nur meine Fehler und Schwächen gesehen. Und das bringt einen nicht weiter, damit macht man sich nur selbst fertig.
     
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  2. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    Also ich habe nicht so grosse Ansprüche und bin zufrieden, wenn ich zumindest Jahr für Jahr etwas besser werde. Das reicht mir eigentlich, aber auch darüber denke ich eher gar nicht nach, sondern spiele einfach. Das reicht mir. Streben nach Perfektionismus ist mir völlig fremd.
     
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  3. CBlues

    CBlues Strebt nach Höherem

    was für ein Zufall, habe grad vorher dieses Video geschaut :D

     
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  4. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    :) warum schaut man sich so ein Video an??
     
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  5. GelöschtesMitglied725

    GelöschtesMitglied725 Guest

    In manchen Plattformen wird man von solchen Videos förmlich überschüttet, seit es Playalongs und einfache (oder auch komplexe die ohne Einarbeit in die Materie bedienbar sind) Aufnahmemittel für die digitale Allgemeinheit gibt. Für einige Saxspieler die am Start stehen scheint es Sport zu sein, möglichst jeden Tag 2 neue Songs mit coolen Videos einzuspielen, egal wie die Saxparts darauf klingen. Als Übung zum selber Feedback geben sicher nicht unabdingbar verkehrt, aber in öffenlichen Kanälen manchmal doch etwas unüberlegt.
     
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  6. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Das ist schon ziemlich nah an der Perfektion. Noch 100 Jahre üben, dann klappt das. :lol:
     
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  7. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Hehe, vllt sollte man so etwas mal ganz bewusst machen - als Anti-Perfektionismus Übung..

    Leider kenne ich das nur allzu gut. Wenn ich beim Spielen höre was gerade falsch ist und ich es nicht korrigieren kann..das macht mich wahnsinnig.
    Früher resultierte das in vielen Aufnahmeversuchen, die aber sukzessive immer schlechter wurden.
    Dann habe ich das gelassen.
    So ist eben nunmal der Stand.

    @Saxoryx

    Mein Lehrer sagt ab einem gewissen Punkt auch: ist gut jetzt, du musst das nicht im Originaltempo spielen. Das ist notwendig, weil man sonst einen Tunnelblick entwickeln würde.
    Die 3% Verbesserung, die man dann noch raushauen kann bei 3h investierter Übezeit kann man sich auch sparen.
    Dann etwas anderes üben, was effektiver ist, weil es einen größeren Lernerfolg mit sich bringt.

    Perfektionismus kenne ich aber nicht nur vom Sax. Das habe ich in mehreren Lebensbereichen ;-) Manchmal bin ich dann etwas unentspannt:D ZB bei Farben, die nicht zusammenpassen. Ich kann dann nicht weggucken, überlege und probiere so lange bis es passt.

    Naja, warum sollte es beim Sax dann groß anders sein ;-)
     
  8. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich halte es mit dem Paretoprinzip.

    „Die Pareto-Methode stellt die Beziehung zwischen Aufwand und Ergebnis bzw. zwischen Einsatz und Ertrag dar. Es besagt, dass 80% der Wirkung durch 20% der beteiligten Faktoren erreicht werden können. Anders ausgedrückt sind 20 Prozent des Aufwands für 80 Prozent des Ergebnisses verantwortlich(80/20 Regel).“

    Klar, geht nicht immer, aber in der Regel funktioniert es.

    CzG

    Dreas
     
  9. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Loslassen ist Teil des Übungsprozesses. Wenn man sich nicht mehr bewusst mit etwas beschäftigt, kann das Unterbewusstsein die neu gelernten bzw neu
    initiierten Fertigkeiten "verdauen", also passend einordnen und verfügbar machen. Man kennt das ja, man übt etwas sehr intensiv, es wird immer schlechter, nach 2 oder 3 Frustpausentagen läuft es plötzlich wie geschmiert.
    Loslassen im Kontext hier ist zumindest zT auch schon gegeben, wenn man sich auf dem gleichen Instrument mit was anderem beschäftigt. Später kann man sich ja wieder mit dem Material beschäftigen.
     
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  10. Aerophon

    Aerophon Ist fast schon zuhause hier

    Ein gesundes Maß an Perfektionismus ist aber auch nicht verkehrt. Ich beschäftige mich gerade mit Funk, genauer mit Checker‘s Jam aus Funk und Soul Power, Chili Notes. Angeblich ist das gar nicht so schwer. Synkopen in Kombi mit Sechzehntelläufen fordern zumindest mich schon heraus. Klar kann ich da irgendwie drüberspielen und komme am Ende richtig raus. Nur wenn man dann genau zuhört und auf die Notenwerte achtet ist das alles andere als sauber. Und richtig geil klingt‘s auch nicht. Wenn ich da nicht mit Anspruch rangehe, wird es nicht besser und ich entwickle mich nicht. Perfekt muss es nicht sein aber ich habe Zweifel, ob möglichst viel Repertoire zielführend ist, wenn es schludrig gespielt wird.

    Wäre interessant wie das die Lehrer hier im Forum sehen.

    Aerophon
     
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  11. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    John Coltrane würde sich im Grabe umdrehen!:cool:
     
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  12. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Es gibt beim Musizieren kein perfekt. Es wird immer jemanden geben der es noch etwas besser spielen kann
     
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  13. Wuffy

    Wuffy Gehört zum Inventar

    Ein gewisses Maß an (persönlich-individuellen) Perfektionismus ist jedenfalls mein persönliches Lebensmotto, wenn ich das nicht ausschöpfe geht's mir nicht gut...und auch schnell der Spass an der Sache verloren.

    Nicht nur bei der Musik, hauptsächlich im Beruf und auch bei allen anderen Dingen...sogar beim Rasen mähen und Schnee fräsen ;)

    Ist wohl angeboren, man kann's kaum ändern.

    Gr Wuffy
     
  14. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    "gewisses Mass an Perfektion" ist ja auch ein weiter Begriff. Bisschen davon ist sicherlich hilfreich.
    obwohl...:) ich habe das nicht, strebe überhaupt nicht nach Perfektionismus und bin zufrieden mit dem , was ich kann.
    Weiter üben tue ich natürlich trotzdem fleissig.
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 5305

    Gelöschtes Mitglied 5305 Guest

    Es ist aber auch so, dass für das Erreichen der letzten
    paar Prozente bis zu den 100% ein erheblich größerer Anteil am Gesamtaufwand erforderlich ist als die ersten 80%.
    Die Frage ist, wann man aufhört und etwas anderes anfängt. Checkers Jam hatte ich auch mal im Unterricht.
    Dabei war ich dann in der dritten Unterrichtsstunde gut
    genug um etwas neues anzufangen. Sollte es aber noch etwas vertiefen. Ich denke man kann zum nächsten wechseln, wenn man mit sich zufrieden ist, und vermutet bei einem überraschendem Besuch der alten Dame, Erbtante oder so ohne großes Einspielen das Stück überzeugend vorspielen zu können.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 17.Oktober.2021
  16. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    Checkers Jam finde ich klasse und spiele es recht gerne, aber mit Tenorsax.
     
  17. Rick

    Rick Experte

    Naja, rhythmisch "perfekt" ist auf jeden Fall Computermusik. Doch die klingt meistens leblos und kalt. Will man aber etwas von sich reinlegen, den Zuhörer auf eine direktere Weise ansprechen, dann spielt man "unperfekter", eben "menschlicher".
    ABSOLUTE Perfektion langweilt (mich) beim Hören.
    Nicht zuletzt deshalb habe ich bei meinen letzten Jazz-Studio-Produktionen absichtlich Fehler drin gelassen, die man in einem weiteren Take hätte ausbügeln können. Kostete mich Überwindung - aber es ist noch keinem negativ aufgefallen. Man ist eben oft selbst der größte Kritiker. :cool:

    Das ist eine Frage des rhythmischen "Feelings", des "Grooves". Ist man da drin, kann man gar nicht anders als richtig zu spielen - oder es "groovt" nicht. Nun muss man nur noch dieses gewisse "Feeling" entwickeln... ;)

    Da gibt es für mich kein entweder-oder. Möglichst viel Repertoire bedeutet Flexibilität und mehr Blattlese-Fähigkeit. Das muss ja nicht notwendigerweise zu Schludrigkeit führen, wenn die Stücke einen nicht überfordern.
     
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  18. Gelöschtes Mitglied 5305

    Gelöschtes Mitglied 5305 Guest

    Die Sachen von Gernot Dechert sind viel zu unbekannt.
    Die sind nicht ohne aber man kommt zum Zuel und klingen super. Das letzte Stück aus dem Bluesbuch ist
    so ein sehr schnelles. Aber es liegt rel. in den Fingern und lässt sich, sobald man es teilweise auswendig kann, auch im Endtempo spielen.
     
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  19. Longtone

    Longtone Ist fast schon zuhause hier

    Perfektion?

    5000 Stunden, bis die ersten wohlwollend zuhören, 10 000 Stunden bis zum Hochschulabschluß - soweit eine "Faust"regel.

    Dabei sind gerade die "Fehlerchen" das Salz in der musikalischen Suppe - so jedenfalls ein geigender Weltstar.
     
  20. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Ganz abgesehen von Musik, bzw. sogar bewusst außerhalb der Musik dachte ich, auch noch in meinem Informatikstudium, ich sei Perfektionist - bis ich in der IT zu arbeiten begann. Da lernte ich erst, wieviel genauer ich noch werden musste. Aber das ist IT und nicht Musik.

    Aber in der Musik "plagt" mich kein Perfektionismus - dazu fehlt mir der Fleiß.

    Dieses "nicht im Tempo spielen können" kenne ich - von "Yakety Sax". Das Originaltempo ist für mich unerreichbar, aber nichtsdestotrotz oder gerade deswegen benütze ich es als Tempo-Training.
    Und schau an, neulich merkte ich, dass es doch noch etwas schneller geht als bisher. Natürlich nicht perfekt gespielt...

    Perfektionismus ist ja genau "Perfektionsstreben ohne Maß". Ein gesundes Maß an Genauigkeit, Anspruch... ja.
    Ich denke, für "hohe Kunst" (sei es Musik oder Tanz oder...) ist schon ein gewisser Perfektionismus nötig - wie immer der jeweils aussieht. Das macht dann schon den Unterschied zwischen "eh gut" und "Weltklasse" aus.

    Perfektion muss ja nicht mathematische Genauigkeit bedeuten. Siehe groove.

    Aber: Ich hab mal das (oberösterreichische? österreichische?) Polizei-Blasorchester in unserer Kirche gehört - einmal Blasmusik ohne die üblichen ungenauen Stimmungen, sondern mal wirklich alle sauber gestimmt und auch super gespielt. Das hat schon eine andere Qualität.

    Die Musik zu "spüren" finde ich auch mindestens so wichtig wie technisch gut zu spielen. Über technische Schwächen kann man mit "groove" in einem gewissen Maß hinwegtäuschen (und da sehe ich eher meine Stärke ;)), aber mangelndes Gefühl für die Musik kann man nicht mit Technik ausgleichen. Bei Musik geht es halt einmal um Emotionen.
    Trotzdem ist wohl der größere Anteil der Übezeit die Verbesserung der Technik - geht nicht ohne.
     
    SaxFrange und Rick gefällt das.
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