Das Kreuz mit dem Perfektionismus

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Saxoryx, 17.Oktober.2021.

  1. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Diese 80/100 Regel passt m.E. so nicht. Ich will ja mein Spiel insgesamt verbessern und nicht ein kleines Problem lösen. Was dabei nämlich nicht passt ist, dass wenn ich bei 80% aufhöre und mich einer anderen Herausforderung widme, ich unbewusst dadurch doch über die 80% komme.... Synergieeffekte.
     
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  2. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Die 80/20-Regel gilt von mir aus im Pop-Geschäft: mit minimalem Aufwand möglichst viel Erfolg haben.
    Aber nur 20% Aufwand bei dem, von dem wir reden? So einen niedrigen Anspruch wird hier kaum wer haben. Zumindest gefühlt werden wir doch alle mehr Aufwand reinstecken. Aber wer weiß, wieviel Aufwand für 100% nötig wären...
     
  3. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Das ist doch der Punkt. Wir kennen die Referenzgrösse nicht.

    Was sind 20%, 40%, 80%? Von was?

    CzG

    Dreas
     
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  4. Rick

    Rick Experte

    Genau, was ist diese "Perfektion" überhaupt und wie kann man die quantifizieren?

    MEINE Perfektion besteht darin, alles so spielen zu können, wie ICH es will. Das erreiche ich seit Jahren ziemlich gut, sonst hätte ich den falschen Beruf. :-D

    Aber das kann kein anderer nachvollziehen, weil ja keiner weiß, was ICH da machen wollte.
    Wenn ich mir eine Aufnahme von mir anhöre, dann höre ich sie völlig anders als ein anderer, das ist mir schon oft aufgefallen. Ich freue oder ärgere mich dann über Details, die anderen völlig unwichtig sind. Umgekehrt werde ich auf "verbesserungsfähige" Stellen hingewiesen, die mir absolut egal sind, nach dem Motto: "Mach das doch mal soundso, das machst du nie!"
    (Warum wohl? Weil ICH das eben nicht will!)

    So gesehen bin ich als Künstler für meine Ansprüche durchaus perfektionistisch, aber das ist nicht objektiv von außen nachzuvollziehen. :cool:
     
  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, die Referenzgröße fehlt.

    Aber jeder hat ja seine eigene Kompetenzgrenze oder die Grenze seines handwerklichen Geschickes. Ich versuche oft, nicht an diese Grenze von 100% heranzuspielen, sondern nur 80% davon zu geben.

    Dann ist es perfekt (-;
     
  6. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich würde mich - bevor ich mir über meine momentanen Grenzen Gedanken mache - mal fragen, woran es liegt, dass ich nicht über die "80%" komme.
    Zu schweres Material, falsche Wahl meiner Mittel etc.?
    Der Rest ergibt sich von selbst. Insofern kann ich das Gesagte (fast hätte ich Blabla gesagt) im Video oben nicht nachvollziehen.
    Fehler die gut klingen sind keine Fehler. Wenn mich was stört, spiel ich es besser und üb solange, bis es mir passt. Oder - siehe oben.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 18.Oktober.2021
  7. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Ich kann ja nur für mich sprechen, aber ich denke so wie es kein 100% perfekt gibt,gibt es auch kein zu schwer. Wenn ich was nicht spielen kann, dann erarbeite ich es mir ,bis ich es kann. Und genau dieser Schritt ermöglicht es mir von meinen 80% wegzukommen und näher an die 100% zu schleichen.
    Andersrum, wenn ich immer nur Sachen spiele ,die ich kann(hab ich mal im Studio bei Solos gemacht, und das war dann langweilig) wird es mich nicht weiterbringen.
    Wenn ich einen Marathon laufen möchte, über ich doch auch nicht nur 5 Kilometer Läufe ,da muß ich auch über mich rausgehen über meine Schmerzgrenze.

    Aber klar ist auch das das jeder für sich anders sieht, deswegen gilt das ja auch nur für mich
     
  8. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Einspruch. Ich habe zu früh zu schwere Partituren gespielt.
    Mein Ansatz und meine Atmung waren dafür noch nicht ausgebildet. Zu diesem Zeitpunkt.


    Sehe ich nicht so. Ich denke bei der Versteifung auf ein zu schweres oder hochgegriffenes Ziel verliert man das Ganze aus den Augen.

    Erinnert mich daran, wenn der Anfänger : "Wie lange brauche ich um Baker Street auf dem Sax zu spielen?"
     
  9. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Das sind die Einstiegs-Motivationen... und je nach Stück oder hier Motiv ist man dann ggf. fast enttäuscht, dass das jetzt einfacher als erwartet war (also zumindest das reine Spielen der Melodie) und noch lange nicht die "hohe Schule"...
     
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  10. Rick

    Rick Experte

    Nun, wenn ich etwas auf eine bestimmte Art und Weise spielen will und das erst mal nicht schaffe, dann arbeite ich, bis es so geht, dass es mir gefällt. Dann bin ich bei MEINEN 100 %.
     
  11. Aerophon

    Aerophon Ist fast schon zuhause hier

    Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Zu schwer zum jetzigen Zeitpunkt gibt es für mich schon. Ein Stück, das ich vorerst aufgegeben habe ist Obiviously you are not a golfer, Thorsten Skringer, Funky Sax Solos. Sein Solo bei ca 3 - 4 min ist mir an der ein oder anderen Stelle zu wild:



    In Endgeschwindigkeit und mit den Altissimo Motiven ist das für mich noch nicht machbar. Wenn ich ich mich darin verbissen hätte, hätte ich zu viel Zeit investiert, in der ich an meinen anderen Baustellen hätte arbeiten können. Ich will aber nicht ausschließen, dass ich das irgendwann hinbekomme.

    Andererseits..., ist da Yoshiaki Tokunaga:

    https://www.sueddeutsche.de/panorama/yoshiaki-tokunaga-japan-algenbauer-pianist-1.5346419

    Was mich lehrt die Hoffnung nie aufzugeben

    Aerophon
     
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  12. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Gute Frage! :D

    Wer bin ich, dass ich gegen Katrin argumentieren könnte...?
    Ich erinnere mich, wie @Wuffy beim Stuttgarter Saxophonforums-Stammtisch immer gesagt hat "Es kommt darauf an, wo man hin will"
    Das trifft es.
    Wenn man ein grosses Repertoire will, um vor Familie und Bekannten auftreten zu können, dann muss man Repertoire aufbauen. Oder für viele Youtube Videos.
    Wenn man versucht, eine klassische Soundvorstellung zu erreichen, hilft Repertoire gar nix, man feilt an einzelnen Tönen. Man akzeptiert auch nicht "ich bin noch nicht warmgespielt", weil jeder Ton, vom ersten her so klingen muss, wie man es will das er klingt.
    Da ist dann Perfektionierung gefragt.

    Das 'Pareto Prinzip' ist für mich eine der am meisten falsch verwendeten Pauschal-Aussagen (á la: "Der Weg ist das Ziel" oder "Man muss 10000h üben...")
    Vilfredo Pareto hat 1906 die Verteilung des Grundbesitzes in Italien untersucht und festgestellt, dass 20% der Bevölkerung 80% des Landes besitzen. Seither wird das Paretoprinzip blindlings allem möglichem übergestülpt.
    Erstens wird unterstellt, dass 80% des Ertrags ausreichen, zweitens wird angenommen, dass die Verteillung immer gleich ist. Einfaches Beispiel, der Jahreszeit entsprechend. Ich will Winterreifen draufmachen. Mit 20% Einsatz, habe ich genau 20% der Reifen aufgezogen und erst mit 100% des Einsatz habe ich mein Ziel erreicht.

    Das ist für mich die 80%...
    Nö, Quatsch, der hat ein Lied gespielt, ein Video aufgenommen, es in Youtube eingestellt und schon 77 Aufrufe (dem Forum sei's gedankt!)
    Das ist doch schon 100%, oder?

    Ich könnte nicht mehr zustimmen. Und das "... wie ICH es will" schliesst natürlich ein, dass man auch mal ein Stück halbfertig liegen lässt. Wenn man es will. Und sich fragt:

    Ansonsten hört es sich für mich so an wie 'Die Trauben werden sauer sein...
    Grüße,

    Wanze
     
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  13. Rick

    Rick Experte

    Das mache ich gerade mit einem (erwachsenen) Schüler im Unterricht!
    Allerdings sehe ich das Solo nicht als "Pflicht" an, sondern als Demonstration, wie man über so ein (modales) Stück improvisiert. Dementsprechend lasse ich es nicht komplett nachspielen, sondern erkläre bei der Analyse, was Herr Skringer da warum und vor allem wie macht, damit der Schüler Elemente davon in sein eigenes Konzept einbauen kann (oder eben nicht, wenn sie ihm nicht gefallen).

    Aber zum Nachspielen empfehle ich bei Interesse an dem Stil eher Transkriptionen von Michael Brecker himself, denn das vorliegende Beispiel ist mir persönlich viel zu harmlos, brav im Vergleich zu Herrn Skringers offensichtlichem Vorbild. ;)
     
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  14. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Na ja, so stimmt das ja auch nicht.. ;)

    CzG

    Dreas
     
  15. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Es gibt auf dem Saxophon soooo viel zu lernen, dazu kommt noch die allgemeine Musik, deren kulturelle Herkunft etc. Dann entwickelt sich Musik weiter, gewisse Techniken auf dem Instrument kommen auch dazu.
    Ich habe nicht den Hauch einer Chance auch nur annähernd an 80% zu kommen, nicht in diesem Leben noch im nächsten ... wenn ich was nicht kann ist nur die Frage, wie sehr will ich genau diesen Aspekt können oder gibt es etwas, was mir wichtiger ist.
     
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  16. Rick

    Rick Experte

    Ja, wenn Du es wirklich willst, dann verbeißt Du Dich, ansonsten denkst Du eben "Na gut, später mal"
    .
    Das Solo von "Obviously, You're Not..." könnte auch ein super Beispiel für dieses Willensding sein: Beim Hören des Tracks kommt mir, wie erwähnt, Michael Brecker in den Sinn und was DER da gespielt hätte. Nun könnte ich unverschämt unterstellen: Skringer hätte ja dies und das machen können, stattdessen bleibt er unter diesem Niveau - kann er es nicht besser?
    An dieser Art von "äußerem" Perfektionismus gemessen wäre er mit der Aufnahme gescheitert.

    Aber ich unterstelle ihm stattdessen, dass er es genauso gut tausendfach anders hätte spielen können, durchaus auch mehr nach MEINEM Geschmack, aber ER wollte das nun mal so. Jetzt gefällt es MIR nicht so gut, ich hätte es anders gemacht, aber es ist nun mal SEINE Produktion, er hat es eingespielt und zur Veröffentlichung freigegeben, sogar in sein Lehrbuch aufgenommen, also darf man getrost davon ausgehen, dass es für IHN zu 100 % perfekt war.
     
  17. Aerophon

    Aerophon Ist fast schon zuhause hier

    Offensichtlich bin ich minderbegabt.:cry:
     
  18. fukaR

    fukaR Guest

    Das Solo ist ganz schön knackig, und die hohen und schnellen Passagen lasse ich auch aus.
    Aber es ist ein Mustersolo. Insofern kannst Du doch die Parts, die Du (noch) nicht hinbekommst, durch eigene Soloparts substituieren.

    Das perfekte am Jazz ist doch, dass nichts perfekt sein muss.
     
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  19. Rick

    Rick Experte

    Nö, ich würde eher sagen, wir haben unterschiedliche Auffassungen von "zu wild". ;)

    Wie erwähnt: Der Wille ist der Schlüssel. Aber wenn es Dir nicht zu 100 % gefällt, dann kannst Du es auch nicht zu 100 % spielen.

    Beispiel "Yakety Sax": Ich musste das Stück durchaus schon öfter live spielen, aber ich HASSE es, es ist mir zu zickig und albern. Also habe ich es nicht groß geübt und bei allen Auftritten irgendwie "gefaked", wenn es denn unbedingt von mir verlangt wurde. Das war dann natürlich keine Perfektion, aber es hat den Zweck erfüllt, den Leuten hat es gefallen.
     
  20. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Nur mal ein par Pfennige, von einem Perfektionisten:

    Fehler sind Freunde.

    Ein Satz, den ich lange nicht verstanden habe, da er etwas unpräzise, obgleich dafür einprägsamer ist.
    Eigentlich müsste er heißen:
    Der Umgang mit Fehlern kann einen die Fehler wertschätzen lassen.

    Es gibt wahrscheinlich fast so viele Arten, mit Fehlern umzugehen, wie es Möglichkeiten gibt, von ihnen zu profitieren.
    Mit einem Fehler falsch umgegangen zu sein, muss also auch kein Fehler sein, wenn man richtig damit umgeht.

    Ich hätte vielleicht keine präzise und bewegungsarme Fingertechnik am Saxophon entwickelt, wenn ich nicht so streng mit mir gewesen wäre. Ich habe mir dadurch aber gleichzeitig Steine in den Weg gelegt.

    Etwa dachte ich oft, meine Finger bewegten sich schlampig, weil meine Mutter dies bei meinem Klavierspiel als Kind oft bemengelt hatte. In Wahrheit war ich aber oft nur mit der Artikulation, der Intonation und ähnlichen Dingen unzufrieden. Ich konnte es aber nicht besser beurteilen.

    Der Umgang mit Fehlern hat mich viel beschäftigt, ich will mich nicht zu sehr auslassen...So viel nur noch:


    Spielen heißt das, was man intuitiv damit gewöhnlicherweise assoziiert: Entdecken, wagen, lernen, Spaß haben.


    Mit der richtigen inneren Einstellung wird einem nie langweilig beim Üben, und man unterscheidet nicht mehr zwischen "nervigen" Dingen, die man üben "muss" und solchen, die man Üben "will", die "Spaß machen".
    Diese Einstellung zu finden ist eine Herausforderung was Selbstvertrauen, Loslösung von Konventionen usw. angeht und muss auch geübt sein.

    Das Buch "Glücks-Spiel" von Ana-Marija Markovina habe ich hier ja schonmal erwähnt, möchte es jedoch noch einmal bewerben. Man kann viel davon profitieren, was das Thema Perfektionismus und Üben allgemein angeht.
     
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