Musikalität und Depression ?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von saxfax, 8.Februar.2023.

  1. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich versuche es nochmal mich mit einzuklinken. Die Studie als Aufhänger des Threads zeigte das Ergebnis einer Analyse, nach der die gleichen Genvarianten mit Depression und Musikalität assoziiert sind. Das geht über die alte Feststellung hinaus, dass Depression und Musikalität assoziiert sind.

    Eine Kausalität zwischen den beiden zeigte sich offenbar nicht zwingend, nicht alle mit einem entsprechenden Genom haben beides, die Depressiven mussten nicht zwingend vorher Musiker sein und die Musiker waren nicht alle schon depressiv. Der Zusammenhang ist offenbar grundlegender und nicht nur das eine bedingt das andere. Die Frage, ob eher ein Depressiver zur Musik als Therapie greift oder ein Musiker aufgrund seiner Arbeit depressiv wird, wird somit ein stückweit ihrer im Einzelfall sicher berechtigten Relevanz beraubt.

    Das Ergebnis ist aus genetischer Sicht spannend, aus soziologisch-psychologischer Sicht aber auch. Es ist alles spekulativ, man kann sich aber tolle Gedanken darüber machen, warum das so ist. Und aus gesellschaftlicher Sicht ist es fast noch interessanter.

    Denn explizit geht es eben nicht um die Fragen
    - ob Profimusiker häufiger depressiv sind als Nicht-Profimusiker

    - ob Profimusiker tiefer in die Sch… fassen müssen als andere Profis.

    - ob Drogen Musiker besser machen oder schlechter.

    - ob Musik eine Therapie für Depressionen oder ein Grund dafür ist.

    - ob Drogen eine Selbsttherapie für psychische Erkrankungen sind oder die Droge sie auslöste.

    Das sind alles spannende Fragen.
    Neben der biographischen Information, die der Thread hier zu Tage fördert finde ich aber noch spannender, dass nur wenige die Idee einer parallelen Verknüpfung von Musik und Depression aufgreifen, unter der Annahme denken können, dass nicht das eine das andere bedingt sondern beides eine gemeinsame Ursache haben kann. Ich fühle mich vage erinnert an den Shitstorm, den jemand erntete, als er feststellte, das manche talentierter sind als andere…
    Vielleicht geht mir aber auch die Phantasie durch. ;)
     
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  2. LuckySax

    LuckySax Ist fast schon zuhause hier

    Die macht mich dann wirklich deppresiv. :p
     
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  3. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Irgendwie ist hier seit meinem Einwurf der Drive raus. Vielleicht war auch schon alles gesagt. Ich versuche meinen Gedanken zur Genetikstudie aber noch mal mit einem überzogenen Beispiel zu erklären:

    Es wird von einer Studie festgestellt, dass es in der Natur des Tigers liegt, ein gestreiftes Fell zu haben und Huftiere zu erlegen und zu fressen.

    Einer argumentiert jetzt, bei so viel frischem Fleisch bekomme man halt ein gesundes Fell. Ein anderer sagt, dass es andersrum ist, dass nur die Tarnung so einen Fleischkonsum ermöglicht und somit auch bedingt.
    Der nächste sagt, das Zebras auch ein schönes gestreiftes Fell haben, obwohl sie kein Fleisch essen und das Grasfutter breitere Streifen mache.
    Und wieder ein anderer bemerkt, dass Zebras trotz streifen überhaupt kein Fleisch essen wollen, obwohl sie gut getarnt sind.
    Einer sagt, dass sich Tiger theoretisch auch ausgewogen vegetarisch ernähren könnten, wenn sie die richtigen Beeren und Hülsen fänden und fragt, ob die Streifen dann blieben.
    Und ein anderer sagt, dass der Konsum von Kröten bei Tigern zu Flügelwachstum führen würde.

    Auch wenn manche Aussagen korrekt sind gehen sie alle ein bisschen am Problem vorbei. Der Tiger würde mit gefärbtem Fell natürlich genauso auf die Jagd gehen und andersherum nach fleischfreier Ersatznahrung immer noch Streifen haben. Der Zusammenhang ist nicht unmittelbar kausal, beides liegt einfach in seiner Natur, in seinen Genen. Wir wissen natürlich, dass es einen evolutionären Zusammenhang gibt, der sowohl die Streifen des Tigers als auch des Zebras erklärt. Und mit fressen bzw. gefressen werden hat es auch zu tun, nur anders und nicht direkt kausal, sondern über ein paar hunderttausend Jahre und viele Generationen.

    Wenn es bei Depressionen und Musikalität so einen Zusammenhang in der Veranlagung (und nicht nur manchmal im Lebenswandel) gibt, ist doch die Frage, ob man ihn fassen kann. Ist es reiner Zufall, dass manche Gene beides beeinflussen?
    Oder bewirkt die eine Fähigkeit automatisch eine Instabilität in einem anderen Bereich.
    Z.B. mit meiner Zunge kann ich viel besser Haare tasten als mit der Großzehe. Zum berühren von gefroren Stahlgittern ist die Zunge aber schlechter geeignet. Beides hängt irgendwie zusammen.

    Gibt es ein psychologisches Pendant zur Musikalität, das für Depressionen anfälliger machen würde? Jenseits des Lebenswandels? Hat es mit Wahrnehmung oder Empfindung zu tun? Das Thema Sensibilität kam ja auch schon kurz auf, wurde aber verworfen. Ich finde, da fängt es eigentlich an spannend zu werden. Heißt musikalisch sein, anders oder mehr zu empfinden? Oder werden einfach andere Assoziationen zu Wahrnehmungen gepackt? Oder ist es was ganz anderes?

    Und eine andere Frage ist, ob man aus der Assoziation etwas lernt, was man präventiv machen kann.

    Und um der Talentdebatte vorzubeugen: es soll sich niemand in einem Musikerforum diskriminiert fühlen, weil er noch keine Depression hatte. So hart sind die Assoziationen dann auch nicht. Es zählt natürlich immer, was man aus dem macht, was einem mitgegeben wurde! :)
     
  4. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Bei 'Kaufhausmusik' fühle ich mich persönlich nicht so schlecht, manchmal sogar wohlig. Eben eine Musik ohne Ecken und Kanten, die ja auch mal sein darf. Gut zum runterkommen. Mag auch ab und zu die sogenannte Lounge-Musik im Fahrstuhl oder Hotelrezeption.
    Früher hat 'Muzak' solche Musik konzipiert. Gibt es die überhaupt noch?:cool:
     
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  5. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

  6. JES

    JES Gehört zum Inventar

    @giuseppe

    Du unterstellst hier aber, dass ein Musiker auch musikalisch ist....
    Da muss man erst einmal klären, was dann genau ein Musiker ist bzw. ab wann ev ein Musizierender über überdurchschnittliche Musikalität verfügt.
     
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  7. Rick

    Rick Experte

    Bis jetzt hatten wir ja mehr das Thema Depression im Blick, jetzt können wir uns dem Thema "Musikalität" zuwenden.
    Du hast Recht: Saubere Definitionen helfen ungemein bei der Diskussion.
     
  8. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich wollte nichts unterstellen. Ich versuche nur über das Ergebnis der Studie zu diskutieren, statt daran vorbei.
    In der Studie wurden glaub ich sowohl die Zeit, die musiziert wird, als auch das erreichte Level abgefragt. Hierraus wurde ein Maß an Musikalität abgeleitet. Das sind halt die fassbaren Variablen, die im Schnitt schon in die richtige Richtung deuten werden, auch wenn es im Einzelfall Fehler erzeugen wird.
     
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  9. Rick

    Rick Experte

    Okay, das wäre für mich eher "musikalische Praxis" als "Musikalität".
    (Mein Sohn ist beispielsweise vom Gehör her sehr "musikalisch", hat sich aber nur gezwungenermaßen in der Kindheit mit der Ausübung beschäftigt, wäre also nach diesen Kriterien "unmusikalisch". Empfindsam im Sinne von empathisch ist er allerdings trotzdem.)

    Dann können wir uns wenigstens die leidige Auseinandersetzung über "Talent" usw. sparen. :)
     
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  10. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ihr könnt ja den Studiendesignern vorschlagen, dass Musikalität durch ein Gremium des Saxofonforums überprüft werden sollte. ;)

    Nein im Ernst. Um große Assoziationsstudien mit vielen Tausenden Menschen zu machen, braucht man irgendetwas, was härter ist, als die Adjudikation des letzten Lehrers oder des Papas. Ein Maß aus Musizierzeit und erreichtem musikalischen Niveau ist bestimmt nicht das Schlechteste. Ich bin sofort bei dir, dass es auf beiden Seiten Leute geben wird, wo das versagt. In der Gesamtschau dürfte es aber schwierig sein, bessere objektive Parameter zu finden.

    Und das ganze führt wieder am Thema vorbei. Das Ausgangsthema finde ich hochinteressant. Man kann bei der Studie halt nur die Daten diskutieren, die erhoben wurde. (Immerhin ist sie frei verfügbar.) Die Frage, wie man die Studie hätte besser machen können, interessiert mich weniger, da ich nicht plane es in absehbarer Zukunft zu tun.
     
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  11. Rick

    Rick Experte

    Nein, nein, Missverständnis:
    Ich wollte überhaupt nicht die Studie kritisieren, sondern nur den in meinen Augen allzu schwammigen Begriff "Musikalität".

    Genau, damit kann ich wesentlich mehr anfangen.
    Ich würde es eben nur anders nennen, zum Beispiel "Neigung zum aktiven Musizieren".

    Da fällt mir auch gleich meine Mutter ein, die in Momenten großer seelischer Aufgewühltheit stundenlang sang, um so ihren "Blues" zu vertreiben.
    Oder ein guter Freund von mir, Pianist, der in seinen dunkelsten Stunden gar nicht mehr vom Klavier weg zu bekommen war.
    Da könnte es durchaus eine Korrelation geben.
     
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  12. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Erinnert mich an einen Sohn meiner Nichte, der sich nach der Beerdigung seines geliebten Opas im Gemeindehaus ans Klavier setzte und dort laut und durchdringend (und dabei richtig gut!) sehr lange spielte. Klavier als Ventil.
     
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  13. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Aber diese Beispiele zeigen, wenn auch anekdotisch, dass es irgendwie eh einen Zusammenhang zwischen "Stimmung" und musikalischer Aktivität gibt.
    Und wenn ich das, schnell überflogene, Abstract nicht ganz falsch verstanden habe, gibt es härtere Beziehungen zwischen klinisch Depressiven / Borderlinern und musikalischer Aktivätät, als zwischen grundsätzliche musikalisch Aktiven und den genannten Erkrankungen.
    Alles irgendwie noch etwas schwammig.
     
  14. ppue

    ppue Mod Experte

    Das spricht ja eher dafür, dass man mit Musik Depris kompensieren kann. Andererseits auch dafür, dass er seine Depris "veräußern" kann, seine Gefühle zulässt, sie auslebt und sichtbar macht. Ist das nun depressiv oder das Gegenteil?

    Ach, Musikalität und musikalische Aktivität sind schon Begriffe, die ungemein viele Daseinsarten beinhalten. Depressionen ein noch viel weiteres Feld menschlicher Gefühle. Ich habe meine Depriphase von 20 bis 25 Jahren genüsslich mit meiner Freundin Billie Holiday verbracht und wir hatten wirklich schöne Abende. Also auch eher ausgelebt. Die reine Anwesenheit von Depressionen sagt ja nichts über den Umgang damit aus.

    Mir versperren diese Aspekte eine klare Meinung zu den untersuchten "Fakten".
     
  15. ppue

    ppue Mod Experte

    Noch ein Gedanke: Müsste man nicht auch das Hochgefühl mit in die Betrachtung einpflegen. Kann es sein, dass Künstler jeglicher Gattung ein emotionaleres Leben führen als biedere BürgerInnen, die zufrieden sind, wenn sie und ihre Familie ein sicheres Auskommen haben?

    Immerhin riskieren Künstler in der Regel mehr, nur um ihren eigenen, persönlichen Charakter zu erforschen und möglicherweise auch auszustellen, wenn nicht zu vermarkten. Nicht verwunderlich, wenn sie höher steigen und tiefer fallen.
     
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  16. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Der Artikel in der FAZ wirft munter durcheinander Musiker, musikalisch aktive Menschen und musikalische Menschen. Sorry, für mein Verständnis sind das verschiedene Personengruppen, bei denen u.U. Schnittmengen existieren können, nicht müssen.
    Ein Musiker macht aktiv Musik. Er sollte musikalisch sein, besser sogar mehr als Durchschnitt.
    Ein musikalisch aktiver Mensch muss nicht musikalisch sein, er muss auch nicht aktiv Musik machen. Er kann Musik auch nur konsumieren oder genußvoll hören.
    Ein musikalischer Mensch hat eine gewisse Veranlagung Musik zu verstehen, zu reproduzieren und ev auch zu "erfinden". Das besagt rein gar nichts darüber, ob er diese Veranlagung auch nutzt zu musizieren oder sich auch nur mit Musik zu beschäftigen.
    Wenn ich jetzt nur Musiker, konkret instrumentalisten, betrachte, schließe ich Gruppen aus, wie bspw Komponisten, oder auch begeisterte Konzertbesucher, hifi-hörer etc..

    Was aber sich übergreifend über die unsaubere Definition greift ist m. E, dass all diese Personen stärker emotional auf Musik reagieren. Jemand, der in meinen Augen musikalisch ist, sitzt nicht in einer Oper und wartet gequält, bis die Folter vorbei ist, sondern der fühlt etwas, was allein die Musik mit ihm macht (auch wenn er sonst mit Oper nix am hut hat).
    Die reinen Hörer und auch die Talentierten (nicht musiker) sind damit am Ende, die anderen können den spieß auch umdrehen und über ihre Musik emotionen erzeugen.
    Mit meinem laienverständnis und Beobachtungen an mir, gibt es dann 2 extreme :
    1. Man kann seinen derzeitigen Gefühlszustand pushen (Euphorie bzw Dysphorie) oder
    2. Man kann seinem derzeitigen Gefühlszustand kontraagieren (mir geht es schlecht, ich spiele aber ein mich aufhellendes stück).
    Da ich selbst depressiv bin kann ich von mir behaupten, dass die Gefahr (bei mir) darin besteht, in die extremzustände zu gehen. Es hilft aber zu kontraagieren, also zu versuchen sich mit gegenpoliger Musik von den extremen verzuhalten.
    Umgekehrt, da ich bspw weiß, wie sich "scheiße" anfühlt, fällt es mir leicht ein entsprechendes Stück mit entsprechenden emotionen zu spielen.
     
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  17. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich kann die Distanz zu den hölzernen Definitionen in solchen Studien verstehen. Andererseits sind solche großen Kollektive mit Menschen, die ihren Gencode der Forschung bereitstellen unser bester Draht in dieses immer noch relative Neuland, um zu verstehen, was erblich ist und wie es vererbt wird. Dabei muss man berücksichtigen, was es für einen Aufwand bedeutet, zu den 5-10 Tausend Genomen auch noch Information zur Musikalität zu bekommen…
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.November.2023
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  18. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das ist meines Erachtens eine der Kernfragen, die sich für mich aus der Studie stellt. Ich halte die These für genauso gewagt wie möglich. Ich glaube schon.
    Da gehst du meines Erachtens wieder zu sehr vom Profi aus und wir sind wieder mehr bei Lebensumständen und weniger bei der Veranlagung, oder? Ich kenne zahlreiche Selbständige ein, die sich mit hohem Risiko in ein berufliches Abenteuer geworfen haben, ganz ohne Musik.
     
  19. ppue

    ppue Mod Experte

    Genau diese Definitionen, Musikalität, Musiker, musisch Tätiger, sind ja die Krux bei der Statisterei. Genau da entgleitet der strengen Statistik die Seriösität.
     
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  20. LuckySax

    LuckySax Ist fast schon zuhause hier

    Mir wurd es ursprünglich folgender Maßen erklärt.
    Um ein guter Musiker zu werden bedarf es weniger eines in die Wiege gelegten Talentes, jedoch mehr der Wille und der Fleiß.
    Der Hang zu Depressionen kann mehr genetisch bedingt sein.

    Dann lese ich überhäuft eine Verwechslung von Frust und Depression.
    Am positivsten waren die Zugeständnisse, dass mancher Lebenstil ja doch nicht richtig war.
    Aber Depression ist ja auch nicht gleichzeitig Sackgasse. Ein tiefer Punkt zum Umdenken. Ganz tief wird es leider gefährlich.
     
    Rick gefällt das.
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