Auswendig spielen

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von ppue, 17.Januar.2024.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Um aufs Thema zurückzukommen: Ich denke, dass beide, Jazzer und Klassiker, ihre besten Darbietungen auswendig spielen.

    Heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Amateure das gar nicht erst versuchen sollten. Bringt allen ungeheuer viel, denke ich.
     
  2. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich tue mich nur schwer damit, zu sagen, das Handwerk eines Art Tatum sei weniger komplex als das eines XY (klassischer Musiker). Ich denke, wenn man viel Arbeit ins Instrument steckt, wird das eigene Spiel auch komplexer bzw. nuancierter. Gleichzeitig ist für mich Komplexität sehr wohl Qualitätsmerkmal, bzw. glaube ich, dass alle ästhetische Stimulation irgendwie rational erklärbar ist.
    Ich tue mich schwer damit, zu sagen, etwas, das so schwer zu herzustellen ist, sei nicht komplex, sondern nur gut, weil es "beseelt" gespielt ist, "swingt" oder ä. Das hat bei manchen (nicht bei dir!) sogar einen Unterton von der Art ("Die N**** haben zwar keine Kultur, aber sie sind nicht so moralisch verdorben wie wir und deswegen inspirierend"). In diesem Punkt haben wir sicherlich ganz unterschiedliche Grundüberzeugungen, für mich ist nämlich die politische Botschaft eines Kunstwerks egal, oder ob es provoziert oder modern ist, seinen Wert bemesse ich daran, wie viel Arbeit erkennbar hineingesteckt wurde (was auch nicht objektiv ist), ob es sozusagen gutes Handwerk ist.

    Aber wir müssen uns deswegen nicht streiten, ich habe ja (hoffentlich) noch sehr viel über Musik zu lernen und werde (auch wieder: hoffentlich) irgendwann die dialektische Synthese unserer Positionen vollziehen können.
     
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  3. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, das ist auch mein Standpunkt, ganz egal, ob klassisch musiziert oder weniger ernst - eine gewisse Prädestination, Talent oder einfach ein musikalisches Umfeld mögen dazugehören - sind die Stunden, die du dich abrackerst, schon entscheidend für die Qualität, die du später abliefern kannst. Deshalb möchte ich die Genres im Hinblick auf Qualität auch gar nicht vergleichen. Aber mache es nicht am Begriff Komplexität fest.

    Das Genre ist nicht ausschlaggebend. Die besten Jazzer werden mit anderen Jazzern verglichen, die beste Klassiker in ihrem Fach. Ich bin Profikleinkünstler geworden, wobei ich meine Arbeit immer auch als eine politische verstanden habe. Und ich glaube, wir waren gut in unserem Handwerk.


    Ich streite sehr gerne mit dir und empfinde das als einen kreativen Prozess, der mich durchaus inspiriert. Ich hoffe, die dialektische Synthese lässt uns noch ein wenig Zeit zum Weiterstreiten.
     
  4. slowjoe

    slowjoe Strebt nach Höherem

    Finde ich schon.

    Erinnert mich an einen Workshop in dem ich die Aufgabe bekam eine unbegleitete
    Improvisation zu einem Zen - Gedicht zu spielen....

    Das Gedicht:

    Mit schlurfenden Schritten durch die Reihen der Gefallenen.
    Wie schön sie sind, wie bunt.


    Könnte sein dass ich da etwas ähnliches getrötet habe....


    SlowJoe
     
  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, das kann sein.

    Silence war das Lieblingsstück unseres Trompeters, den wir vor ein paar Jahren verloren haben. Wir haben es ihm zu Beerdigung nicht spielen können, weil das für unsere Truppe hammerschwer ist.
     
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  6. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Nur dürfen wir Musiker und Komponist nicht verwechseln. Harmonisch sind etliche klassische Werke schon deutlich komplexer als viele Jazzstandards (und länger). Gute Musiker findest du auf beiden Seiten.
     
  7. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Gute Kenntnisse in punkto Tonleitern, Akkorde, Digital Patterns etc. sind hilfreich. Es ist halt leichter sich bei einer Phrase zu merken Bb maj 7 abwärts von der Septieme als 4 einzelne Töne.
    Gerade was auswendig Lernen angeht ist es wichtig da eine gute Herangehensweise zu lernen damit man sich nicht überfordert und es Sinn macht (wie viel und wie etc.). Und dann gibt es noch sehr viele Abstufungen von auswendig. Wenn man die Akkorde alle auswendig aufsagen kann, heisst es noch lange nicht, daß man sie so drauf hat, daß man mit ihnen auch ordentlich arbeiten kann.
     
  8. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Genau. Und nicht auswendig spielen über Changes, also einen Jazzstandard zB. kann sinnvoll sein. Wenn man einen Standard nicht absolut vollständig verinnerlicht hat (wie zB. einen Blues), kostet das nötige Memorieren der Akkorde Hirnschmalz und Bauchgefühl, die man besser in die Impro steckt. Lieber ein gutes Solo vom Blatt über Changes als auswendig ein schlechtes. Insofern ist Auswendig spielen IMHO beim Improvisieren über Changes nicht notwendigerweise das unbedingt anzustrebende Ideal.
     
  9. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Bei einem Workshop mit dem quintessence saxophon quintett kam die Frage „Wie lernt ihr diese schwierigen Sachen auswendig?“ auf. Es gab 5 verschiedene Antworten (die ich leider nicht mehr aufsagen kann).

    Quintessenz: Man muss wohl seinen individuellen Weg erarbeiten. Natürlich nicht im luftleeren Raum. Hier gab’s ja schon genug sachdienliche Hinweise.
     
  10. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Das meinte ich aber auch. Natürlich ist eine Klaviersonaze Mozarts komplexer als ein dreiminütiges improvisiertes Soli Art Tatums, aber ist deswegen dieses Art Tatum-Solo eine weniger komplexe musikalische Darbietung als eine gute Interpretation der Sonate?
     
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  11. Kaseb

    Kaseb Nicht zu schüchtern zum Reden

    Im Spiel mit anderen muss das eigene Musizieren "in den Fingern sitzen". Man muss es auswendig spielen können. Der Weg?
    1. Notationsprogramm
    Melodie und Harmonien in ein Notationsprogramm eingeben.
    2. Titel lernen
    Zunächst langsam, später das Notationsprogramm schneller ablaufen lassen, Melodie mitsingen und Rhytmus treten. Wiederholen mit dem Sax, jeweils bis es sauber klingt.
    3. Titel auswenig spielen
    Harmonien im Notationsprogramm langsam, später schneller ablaufen lassen. Melodie auswendig mitspielen. Dreimal hintereinander Melodie fehlerfrei auswendig mitgespielt: der Titel sitzt!
    Mit Noten wird in der Gruppe geprobt, nicht geübt. Mit weniger Aufwand war ich unzufrieden. Hat man aber mehrere Titel so erlernt, geht es routiniert immer schneller.
    4. Solo erarbeiten
    Damit kann man zum Titel ein Solo auswendig "mitdudeln". Danach das schwierigste Kapitel: beim Solo einen Spannungsbogen anhand der Harmonien aufbauen.
    Gespielt muss es so wirken, als ob es gerade aus einem herauskommt. Trotz verschiedener Strategien, überzeugt hat mich mein Spiel noch nicht.

    Wünsche mir Hinweise ?
     
  12. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Nö.

    CzG

    Dreas
     
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  13. Acolonia

    Acolonia Ist fast schon zuhause hier

    Meine sowieso prinzipiell ungern gehörte Meinung:
    Wer eingängige Melodien nicht zumindest im Kopf singen kann - damit meine ich nicht physikalisch gutes Singen, hat sowieso keine Voraussetzungen, um Musik zu machen. Und sollte auch kein Sax bemühen. Höchstens ein Piano, da stimmt dann wenigstens die Tonhöhe.
    Wer z. B. Bei ganz einfachen Songs wie Hallelujah das "auswendig lernen muss" und nicht im Kopf singend auf sein Instrument Gefühlsmäßig übertragen kann, sollte meiner Meinung nach Musik lieber passiv genießen. Bei Stücken wie "petite fleur" fühle ich mich als Anfänger auch noch wohler, wenn Noten zum Spieken daneben stehen - weil ich zu wenig übe. Musik machen kann jemand wie Wuffy, der Musik hört, und dann mit seinem Instrument als Mittel zur tollen Performance "singt". Alles andere ist wie das Drehen eines Leierkastens. Abarbeiten eines Algorithmus. Kann jeder Computer besser. Und das hört man auch. Tanzmusiker früher, heute auch teilweise Zigeunerbands
    IIn Fußgängerzonen machen Musik. Und nicht mit Lehrern durchgestylte analytisch korrekte Geräusche.
     
  14. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Solange Du alleine dudelst, ist es wirklich ganz einfach.
     
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  15. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Alternativ kann man auch seine Blattlesefähigkeiten trainieren und braucht deine 4 Schritte nicht durchzuarbeiten. ;)
     
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  16. altoSaxo

    altoSaxo Ist fast schon zuhause hier

    Früher am Klavier konnte ich fast jedes Stück auswendig, weil es technisch sehr weit dem voraus war, was ich vom Blatt hätte spielen können. So löste ich mich beim Erarbeiten sehr schnell von den Noten und lernte alles schnell auswendig. Weiter half mir der Blick auf die Tasten, mir parallel optische Eindrücke zu merken. Noten merke ich mir optisch allerdings nicht.

    Beim Saxophon ist es umgekehrt: sehr viel, was technisch geht, klappt sofort oder schnell vom Blatt. Wenn ich etwas auswendig lernen will, muss ich das dann zusätzlich und sehr bewusst tun. Das geht dann auch einigermaßen, verlangt mir aber Disziplin und Zeit ab. Nach ein paar Wochen habe ich es dann vergessen, wenn ich es nicht wiederhole. Selbst wenn ich es perfekt singen könnte, kann ich es am Sax dann nicht mehr ohne Noten spielen, weil ich mich oft nicht mal an die Tonart erinnere. Und da ich am Saxophon leider bislang keine Repertoirepflege mache, kann ich nur ganz wenig dauerhaft auswendig.

    Es ist aber ein Plan von mir, einige Jazz Standards für öffentliche Jam Sessions auswendig zu lernen und als Repertoire zu pflegen.
     
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  17. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Nicht zwingend notwendig aber sinnvoll. Die Beschäftigung beim Auswendiglernen ist meist schon deutlich höher als wenn man es vom Blatt spielt.
    Und vom Blatt über die Changes improvisieren geht auch nur, wenn die Akkorde und Skalen alle sitzen.

    Beides macht Sinn und sollte gemacht werden.
     
  18. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Das Problem ist daß nicht jeder auf die gleiche Art effektiv auswendig lernt. Und allgemein gibt es da wenig Forschung zum Thema wie man in der Musik Noten auswendig lernt.
     
  19. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Ich würde das nicht vergleichen wollen. Tatum (und ich mag ihn sehr) leistet da beim Improvisieren mehr als Jemand, der nur was vom Blatt spielt. Im Ausdruck und Intensität muss es da aber nicht besser sein als ein klassischer Spieler. Und es macht halt den Unterschied, ob man drüber spielt oder was da komponiert wurde. Tatums Spiel ist nicht weniger komplex als eine gute Interpretation, das auf keinen Fall, aber weniger Komplex als das was der klassische Komponist bei so mancher Komposition geschrieben hat.
     
  20. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Das würde als Weg für mich gar nicht funktionieren. Das wäre für mich genau die Art wie ich nicht auswendig lernen will.
    Wie unterschiedliche wir doch alle sind....
     
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