Enharmonische Notation bei Angel Eyes (Real Book)

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von scenarnick, 27.Mai.2024.

  1. scenarnick

    scenarnick Administrator

    Hi Leute,

    Ich sitze gerade über "Angel Eyes" aus dem Real Book und hab es mir aus verschiedenen Gründen in Dorico abgeschrieben. Melodisch macht die Notation der Lead Stimme Sinn mit dem Ab. Harmonisch nicht. Da würde ich eher ein G# schreiben wollen, damit es sich in den E7 Akkord fügt. Warum mögen sich die Editoren für eine solche Notation entschieden haben?
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  2. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Ich denke, weil es eine Blue Note ist, also b5.
     
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  3. ppue

    ppue Experte

    Weil das As die verminderte Quinte von Dm ist und erst durch die nächste Harmonie (E7) umgedeutet wird. Natürlich hätte man es auch mit G# schreiben können, wenn man das als vorgezogene 3 sieht. Auch hätte man ein As zum G# überbinden können, was besser zu den Harmonien passt, aber sehr schlecht lesbar ist.

    Deshalb macht man lieber einen Kompromiss.
     
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  4. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Wenn danach das g kommt, müsste man erst das g# mit einem Vorzeichen versehen und dieses gleich wieder auflösen.
    So braucht es nur ein b zum ab.

    Das ab passt auch besser zu dem einen Bb, in der der Song steht.

    Gruß,
    Otfried
     
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  5. scenarnick

    scenarnick Administrator

    Ok - so gesehen macht das Sinn.
    Ja, der Song steht in D-Moll als Parallele zu F-Dur. Da ist ein b-Vorzeichen an sich sinnvoller, aber die Harmonik über E7 zur Dominante A7 und dann wieder Tonika D Moll ist da schon ziemlich schwer zu deuten (für mich).

    Danke für Eure Stellungnahmen.
     
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  6. peterwespi

    peterwespi Ist fast schon zuhause hier

    Harmonisch gesehen passt's beim E7 besser. Die Tonfolge A Ab G signalisiert optisch schon eine fallende Linie. Zudem wie bereits oben genannt ist es weniger gut lesbar, wenn mit G# zuerst ein Versetzungszeichen erfolgt, das anschliessend gleich wieder aufgelöst wird.
     
  7. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Vorzeichen zeigen ja auch eine Bewegungsrichtung an, und die geht abwärts, von a nach ab.
    Schriebe man a nach g#, würde man eher eine Rückbewgung nach a erwarten
     
  8. Matthias Wendt

    Matthias Wendt Ist fast schon zuhause hier

    Die Melodietöne sind meiner Meinung nach d-as-f-d, also ein verminderter Akkord auf d. Das a und das g sind Vorhalte, jeweils zu as und f. Ich würde deshalb das a besser als bes schreiben, liest sich nur schlechter.
     
  9. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    So ist es leichter zu lesen und auch mit weniger Aufwand zu notieren, wie schon mehrmals geschrieben wurde. Möglich wäre auch eine Harmonisierung mit Bb7, dann würds auch harmonisch passen.

    Warum einfach, wenns auch kompliziert geht? :)
    Ich denke eher, dass die Melodietöne D A Ab G F sind, mit dem Ab als chromatischem Durchgang. Das funktioniert zb auch als rhythmische begradigte Version mit Viertelnoten. Die Melodie, wie sie am Leadsheet steht ist dann die synkopierte/rhythmisierte Version davon.

    Melodisch gesehen ist es natürlich einfach die Blues Scale.
     
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  10. scenarnick

    scenarnick Administrator

    Okokok - danke für all Eure Antworten. Je länger ich raufschaue, umso klarer wird's. Blues Skala war klar, aber die Verbindung mit E7 hatte mich verwirrt, wenn ich E7 mal nicht als Doppeldominante auffasse, sondern als Tritonus-Substitut von Bb7 macht das Ab in der Notation auch klassisch mehr Sinn. Danke
     
  11. Rick

    Rick Experte

    Eigentlich ist es aber umgekehrt... ,;)
     
  12. scenarnick

    scenarnick Administrator

    Ich hatte es zunächst auch umgekehrt aufgefasst und daher die Frage gestellt :D
     
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  13. bhimpel

    bhimpel Ist fast schon zuhause hier

    Mein Bauchgefühl sagt auch, dass das As eine Bluenote ist, und dass Doppeldominanten nicht in Viertellängen gespielt werden, weil das zu unruhig wäre. Eine Rückung von Bb7 nach A7 ist für mich wie ein Vorhalt mit allen Akkordtönen vom A7, was für mich in diesem Zusammenhang sinnvoll ist.

    In einer anderen Reak Book Version stehen die Akkorde D-7 D-7/C Bb7 Bb7 im ersten Takt, im Grunde so ähnlich wie es im zweiten Takt oben auch steht. Und in der anderen Real Book Version wiederholt sich der erste Takt drei Mal. Ganz klar kommt hier das As als Bluenote zum Vorschein. Mit dem E7 als Tritonusvertauschung kann ich daher gut leben. Das A7 ist nachträglich hinzugefügt worden, um dem Ganzen einen funktionsharmonischen Sinn zu geben. Das As passt auf dem A7 übrigens nicht, aber das ist eben ein Vorhalt zum G, was die Akkordbewegung verdeutlicht.
     
  14. LuckySax

    LuckySax Ist fast schon zuhause hier

    So habe ich es noch nie betrachtet.
    So einen schönlesrigen Beitrag sehe ich selten.

    Andersrum glaube ich, dass in den Realbooks unterschiedliche Schüler und Lehrer mal schlampig und präzise was reinschrieben. (So wie im Forum und in der Bibel auch)

    Bauchgefühle habe ich auch. Das ist das drittwichtigste Organ zwischen Kopf und A........ .
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 15706

    Gelöschtes Mitglied 15706 Guest

    Ich finde die Realbooknotation eher so naja. Erst hat man drei Akkorde in einem Takt, dann nur zwei. Erst den hellen Sound einer II7 in Moll, dann den dunklen einer subII7. Das hat irgendwo auch seinen Reiz für ein Arrangement o.ä. In so einem Realbook finde ich aber, dass die Noten so simpel wie möglich sein sollten, ohne, dass groß Interpretation mit einfließt.
     
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  16. scenarnick

    scenarnick Administrator

    Komplette Zustimmung.

    Nur ich wollte hier ja kein Arrangement schreiben, sondern lediglich für ein Stück drei Versionen (C, Eb und Bb) haben, die sich eher ähnlich sind. Ich besitze RealBooks in zwei von drei Stimmungen und schon die weichen voneinander ab. Ohne Kontrolle und ggfs. leichte Anpassung geht da nix. Aber wenn ich schon anpasse kann ich ja auch gleich die Notation hinterfragen (was ich ja hier getan habe).

    Ich gebe zu, ich bin KEIN Fan der erhältlichen RealBook Ausgaben, aber das ist ein anderes Thema. Zum Glück gibt es ja Notensatz-Programme, in denen man sich schnell EIN passendes LeadSheet bauen kann, wenn es gefordert ist. Als "Anregung" oder "Skizze" mögen sie gut sein, für Leute, die (noch) Notenmaterial brauchen sind sie unzureichend. Das Thema ist aber bekannt und auch hier schon diskutiert worden.

    Darum :peace::topic:
     
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  17. LuckySax

    LuckySax Ist fast schon zuhause hier

    Als Lesebuch sind die Realbooks ein Soll kein Muss.
    Eine Bibel im Haus ersetzt nicht den Zimmermann.
    Mal reinzuguggen ist erquickend. Ist einfach gestrickt.
    In einzelnen Kapiteln bleibt man gerne hängen.
    So findet man ja auch die Antworten auf die Frage wer die Arche von Moses gebaut hat.
     
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  18. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Wie schön war doch die Zeit der barocken Polyphonie, wo einfach die Stimmen und der Generalbass notiert wurden und gut war: keine Deutung und keine Reharmonisierung; Durchgangsdissonanzen nach oben mit #, nach unten mit b.
    Ich höre mit der zeitlichen Gewichtung auch eine b5 oder Blue Note und verstehe @bhimpel in seiner Argumentation, dass er eher den chromatischen Vorhalt Ab7 als die Doppeldominante E7 empfindet bzw. hört.
    In Moll führt einen ja die Doppeldominate melodisch und harmonisch viel weiter von der Tonika weg als in Dur.

    Preisfrage übrigens: wenn das "Musikalische Opfer" von J.S. Bach mit seiner markant absteigenden chromatischen Folge im RealBook stünde, wie würden dann wohl die Akkordsymbole unter der Melodie aussehen? Ich weiß, musikalisch unsinnig und "far fetched", aber durchaus reizvoll.
    Interessant übrigens in Bachs Handschrift, dass er das Vorzeichen Eb zweimal, also in der Oktave, abbildet und Bb und Ab nur einmal. Also nicht wundern: C-Moll hat immer noch drei b...

    Bildschirmfoto 2024-05-28 um 17.06.32.png

    Der Kontrapunkt (Gegenstimme) zum Thema bietet schon Anhaltspunkte für eine akkordische Begleitung. Viel Spaß!



    Sorry für's Abschweifen von den Engelsaugen zur Himmlischen Musik. Soll so bald nicht wieder vorkommen.
     
  19. LuckySax

    LuckySax Ist fast schon zuhause hier

    Warum Sorry?
    Ich fand es herrlich erfrischend! :)
     
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  20. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Muss doch in einem Saxofonforum noch diesen Beitrag anschließen:



    Jazz at its finest.... Wenn da die Intonation wackelt, verkommt das "Musikalische Opfer" zur "Musikalischen Opferung".
     
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