Erfahrungen in Japan, Forestone, Selmer etc.

Dieses Thema im Forum "Saxophone" wurde erstellt von kurosak1, 3.Dezember.2024.

  1. kurosak1

    kurosak1 Schaut nur mal vorbei

    Bin gerade in Japan, wie wenn möglich eigentlich immer zum Ende des Jahres seit (ok lange Zeit) 2008. Japan kann auch saxophonistisch interessant werden, gerade wenn der Yen entwertet ist (so wie jetzt). Auch in der Vergangenheit wars schon mal spannend, z.B. Mundstücke zu kaufen, die es in Deutschland praktisch nicht gibt (mein 9er Aizen- Tenor Metall MS, das ich in 2018 in Kyoto gekauft habe).
    Diesmal habe ich (und darum schreibe ichs ins Forum) eine ganz interessante Erfahrung gemacht: ich hatte im Laden in Osaka ein ganz interessantes Mark VI Tenor gesehen, 190 000, äußerlich nicht so gut im Schuß, aber das heißt ja oft nichts... Weil ich sowieso gezwungenermaßen in Osaka unterkommen mußte (Kyoto war zu teuer geworden, aber das ist ein anderes Thema), fiel die Entscheidung leicht, mein Mundstück, ein Stimmgerät und ein paar eingespielte Blätter mitzunehmen und das Horn auszuprobieren (mehr noch, weil ich den Laden bereits aus dem letzten Jahr kannte und dort ein sehr nettes gebrauchtes Yanagisawa- Alt gekauft hatte).
    Im Laden dann, der japantypisch auch beim zweiten Mal gar nicht so einfach zu finden war, hatte ich dann die Gelegenheit, das Fon anzuspielen: schöner trockener Ton, insgesamt guter erster Eindruck. Als ich den Ladeninhaber dann auf das Saxophon ansprach, war die erste Antwort, dass es sich um ein Kommissionssaxophon handeln würde, ohne Garantie und Anspruch auf gute Spielbarkeit. OK, so weit so gut, die Spielbarkeit hatte ich ja schon orientierend festgestellt. - was würde es denn kosten, es hier überholen zu lassen? Das war die entscheidende Frage: und die Antwort: nun ja, der S- Bogen sei nicht original, und auch das Knie nicht, das sei neu reingelötet worden und auch restauriert, kurz und gut: er würde das Saxophon nicht reparieren wollen und (inzwischen ging die Unterhaltung mehr oder weniger über google translate) auch vom Kauf abraten.
    Zwei Tage (und zwei Nächte, in denen ich mir das Ganze durch den Kopf gehen lassen konnte) später war ich wieder da, um noch mal gezielt nachzufragen, und die Antwort war wieder, dass das kein erstrebenswertes Fon wäre, insbesondere weil auch am S-Bogen rumgearbeitet worden sei.
    Interessante Erfahrung: erst stellt jemand ein Saxophon ins Netz, und wenn dann ein Kunde kommt, und es kaufen will, rät er ihm ab ... ich habe das jedenfalls geglaubt und dann vom Kauf Abstand genommen. denke, das ist etwa sehr japanisches: die Verantwortung für Qualität zu übernehmen.
    Und stieß dann bei der Interrnetsuche nach weitern Optione (ich hatte mein Mundstück ja dabei und jetzt auch wieder Geld verfügbar) auf Saxophon - Forestone und wie der Zufall es so will auch auf deren Vertrieb und die Zentrale: in Osaka, nur fußläufig entfernt von meinem Hotel. OK japantypisch wider mal schwer zu finden, und als ich das erste Mal vorbeilief, sah es auch etwas sehr verlassen aus. Anyway, ich habe da jemanden erreicht und bin morgen nochmal da, um mir ein Forestonsax anzuschauen. Und auch vielleicht die interessante Frage zu klären, die hier im Forum ja auch schon diskutiert wurde, ob Forestone und Rampone/ Cazzani identische Hörner anbieten. Habe ja weil ich in Quarna Sotto bei Rampone ein gebogenes Sopran gekauft habe irgendwie eine Soezielle Beziehung dahin.
     
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  2. Sax_Player

    Sax_Player Nicht zu schüchtern zum Reden

    @kurosak1 bitte unbedingt um Fortführung deines Berichts und der weiteren Erfahrung, gerade wenn es um Forestone geht. :bitte:

    Habe im letzten Jahr hier von einem Forenmitglied ein Alt Sax von Forestone gekauft und bin bisher mehr als zufrieden mit diesem Sax, was die Qualität und dessen Klang angeht.
     
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  3. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Soweit es die R&C Due Voci, R1 Jazz, Metals und Solista Reihen betrifft: definitiv Nein.

    Bei der Performance-Reihe wäre es möglich, dass die aus der gleichen Fabrik kommen wie Forestone und andere.
    Es sind aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine identischen Hörner.

    Alleine schon, weil Forestone die Instrumente ja in den Tiefkühler legt - was auch immer das bringt - und drei unterschiedliche Baureihen, u.a. mit gerollten Tonlöchern anbietet.
     
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  4. kurosak1

    kurosak1 Schaut nur mal vorbei

    OK@silver: natürlich gehts nicht um alle Fone, sondern nur um die Diskussion hier im Forum, also um die Mittelklasse-Reihe, > R&C Performance und Forestone SX. Und natürlich sind die nicht identisch, sondern wie würdest dus nennen ähnlich / in der gleichen Form gebacken / Klone / ? . Jedenfalls gabs ja auch bei saxontheweb eine relativ heftige Diskussion, in die sich auch Claudio Zolla (Besitzer von R&C) selbst und klar äußerte, dass die R&C´s in Italien hergestellt würden und dann aber wieder ausstieg als es konkret wurde. Ich selbst bin ja erkennbar R&C begeistert und liebe mein kleines gebogenes R&C-Sopran total. Trotzdem gehts um die Frage ob ein Saxofon "from scratch" irgendwo hergestellt wurde oder importiert ist. Jedenfalls aus meiner Sicht theoretisch. Ich persönlich würde auch auf einem Saxofon spielen, dass auf dem Mond bei 1/3 Schwerkraft hergestellt wurde, wenn es nach meinen Tonvorstellungen gut klingt. Und bezahlbar ist.

    Zurück zu Forestone: ich war dann heute im Forestone "Headquarter". Liegt in einer Nebenstraße in Osaka Daikokucho und ist von außen sehr unscheinbar, und eigentlich auch gar nicht auf Kundenverkehr eingerichtet ... der ist wohl mit Corona im Wesentlichen eingestellt worden. Die Saxofone werden in Chiba (bei Tokyo) zusammengebaut und optimiert und dann hierher geschickt.

    Bißchen japanisch half dann heute sehr und schon stand ich drin im Geschäft und sah die leeren Saxophonhalter im Verkaufsraum im Erdgeschoß, also erstmal kein schicker Showroom. Und auch Lars, den norddeutschen CEO und Besitzer. Der mir auch schnell ein RX- Tenor hervorzauberte, was sonst in die USA geflogen wäre. Und das spielte sich mit meinem Aizen 9er Mundstück supergut, leichte Ansprache, schöner moderner Ton, sehr gleichmäßig über alle Register, und stimmte auch super. Also habe ich es gekauft, zu einem sehr guten Yen-Preis (der Yen ist aktuell ziemlich unterbewertet).

    Großer Vorteil: ich konnte mit Lars auf deutsch sprechen und verhandeln. Lars ist wohl seit mehr als 20 Jahren hier in Japan. Also morgen gehe ich nochmal hin, um es abzuholen. Wenn meine Überweisung angekommen ist. Problem: ich kann in Japan nur 50.000 Yen täglich abheben (hallo Santander-Bank :(( ), also 300 €. Ist natürlich blöd wenn man größere Summen bezahlen will. Aber die Überweisung müsste geklappt haben.

    Ich habe Lars zum Thema Taiwan gefragt: Ergebnis: ganz viele Saxophone werden in Taiwan nach den entsprechenden Vorgaben / Formen und gebaut und sind dann (identisch darf ich ja nicht mehr sagen) aus einer Form. Auch das Forestone-Mittelklasseinstrument SX. Der Aufbau (= Böcke, Klapppen / lange Verbindungen und spezielle Aufbauten) ist dann einerseits individuell, wird aber andererseits ebenfalls in Auftragsarbeit in Taiwan hergestellt. Also list der Unterschied / die Individualität der einzelnen Saxofone dann eventuell nicht vorhanden (außer da kommt noch eine spezielle Nachbehandlung/ Weiterbearbeitung hinzu). Da sind die Firmen dann im Wesentlichen auf ihre Experimentierfreudigkeit und auch Expertise zurückgeworfen.
     
  5. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Das hattest du nicht geschrieben. Oder ich hab es in dem langen, etwas unübersichtlichen Text übersehen.
     
  6. JES

    JES Gehört zum Inventar

    @kurosak1
    Was du beschreibst habe ich eigentlich erwartet. Entweder man kommt mit seiner Konstruktion und lässt diese fertigen, oder man kauft einen korpus fertig von der Stange. Analog dann mit den anbauteilen, klappen, etc.. Dann ist es jetzt nur die Frage, wo der "Hersteller" einsteigt. Lötet er die Teile selbst, lackiert oder finished er selbst, schraubt er nur zusammen, oder doch nur finale justage bzw Kontrolle.
    Ich will R&C nicht zu nahe treten und weiß auch nichts von dieser firma, ausser, das sie stückzahlenmäßig eher klein auf dem Weltmarkt sind. Das alleine, wenn sie preislich iwi interessant bleiben wollen, spricht dafür Teile zuzukaufen, um teure Maschinen und fertigungsprozesse inhaus zu vermeiden. Um offiziell "made in Italy" draufschreiben zu dürfen reicht die Montage. Solange alle zufrieden sind, alles gut.
     
  7. Sax_Player

    Sax_Player Nicht zu schüchtern zum Reden

    Herzlichen Glückwunsch zum neuen Sax. :thumbsup:

    Hoffentlich bist du genau so zufrieden damit, wie ich mit meinem Alt von Forestone. :)
     
  8. kurosak1

    kurosak1 Schaut nur mal vorbei

    Ich habe es heute früh abgeholt und nochmal gründlich gespielt und bin total begeistert. Es läuft alles angenehm unter den Fingern und stimmt gut und der Ton ist auch sehr präsent und voll. Leider (für die Urlaubskasse), aber gut für mich, hat Lars auch die Generalvertretung für Theo Wanne und hatte ausgerechnet auch noch ein Ambika Mundstück da, so dass ich hier auch noch zuschlagen konnte.

    In Bezug auf Taiwan meinte er allerdings, dass die großen Saxophonfirmen inzwischen alle da produzieren (nur Selmer wohl nicht, die lassen in China bauen) und das das, wenn man niedrige Preise anbieten (muß) auch gar nicht anders geht. Die Endfertigung und Feinabstimmung läuft wohl in den Ländern, die dann „Made in“ draufschreiben, alles andere vorher. Was natürlich auch heißt, dass Knowhow nach Taiwan wandert und da „assimiliert“ wird.

    Also wenn jemand von euch mal in Osaka vorbeikommen sollte (es gibt ja viel Angenehmes in Japan), ist der kleine Forestoneladen südlich von Namba eine 1a Adresse und Lars würde sich auch nach Voranmeldung Zeit nehmen können (ich habe ihn heute gefragt).
     

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  9. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Yamaha und Yanagisawa lassen Taiwan fertigen????

    Selmer in China?????

    Das finde ich sehr seltsam.

    CzG

    Dreas
     
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  10. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    So pauschal stimmt das nicht.
    Vielleicht meinst Du (oder Lars) mal wieder die preiswerten Linien (Selmer Axos, Yamaha 280) und schreibst es nicht.

    Selmer produziert alle Saxofone in Frankreich und bezieht Komponenten für das Axos aus Fernost.
    Yamaha produziert die 82er und 62er in Japan, 4xx und 2xx in eigenen Fabriken in Fernost (jedoch nicht Taiwan oder China).
    Yanagisawa produziert ausschließlich in Japan.

    Green Hill, der vermutlich stückzahlstärkste Saxophonhersteller, produziert in Taiwan und stempelt von Expression über P. Mauriat bis Schagerl verschiedenste Markennamen auf die (in der Ausstattung z.T. sehr unterschiedlichen) Instrumente.
     
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  11. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Die Frage ist ja nicht nur eine technische sondern in Zeiten globaler Verschiebungen vor allem eine politische. Deutschland hat in der Pandemie zum Beispiel schmerzlich feststellen müssen, dass man hierzulande nicht mal mehr schnell eine große Menge Papiermasken herstellen kann. Geschweige denn Medikamente. Und vieles anderes, über das man lieber nicht reden möchte. Über die Gründe muss man hier auch nicht reden, ist zu politisch.
    Wenn aber jemand aus dieser Situation heraus die Entscheidung trifft, mit dem Kauf eines Luxusguts eine bestimmte Industrie an einem bestimmten geographischen Standort zu unterstützen - nicht weil er die andern ärgern will, sondern weil er sich wünscht, diese Industrie zu erhalten - dann ist das mit dem Herstellungsort und dem Label ganz zentral wichtig.
    Wenn dann, rein fiktiv natürlich, in Wirklichkeit der instrumentenscheue Kaufmann im Hintergrund in Niedriglohnländern produzieren lässt, mittels Feigenblatt ein europäisches oder amerikanisches Label stempelt und von der frei gewordenen Gewinnmarge lieber das Haus am Comer See oder in Aspen erwirbt, dann ist allen anderen Beteiligten an dem Geschäft nicht geholfen, und es ist auch relativ klar, wer langfristig den kürzeren zieht.
    Deshalb schließe ich einen Kauf aus fernöstlichen Ländern nicht kategorisch aus und weiß auch dass das Komponentengewerbe eine slippery slope ist - ein bisschen mehr Transparenz finde ich aber gut.
     
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  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Wie viel hat das Instrument denn gekostet, @kurosak1?
     
  13. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Zur Ergänzung: Yamaha baut im eigenen Werk in Indonesien.

    Merkwürdig die Ursprungsaussage!
     
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  14. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Ich war mir nicht ganz sicher… deshalb „Fernost“ ;)
     
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  15. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Genau. Und es macht einen deutlichen Unterschied ob Yamaha im eigenen Yamahawerk in Indonesien fertigt oder in
    Indonesien (oder Taiwan) in Lohn fertigen lassen würde.

    CzG

    Dreas
     
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  16. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Warum nicht? Ich halte die Gründe für vor allem wirtschaftlich.
    Die Verlockung, den Kram eben Containerweise zu kaufen (und bei allzu mieser Qualität zur Not die Hälfte wegzuschmeißen) war einfach zu groß.
    Da hat sich die Politik nur der Wirtschaft nicht unnötig in den Weg gestellt. Geldgeil waren die Einkäufer, Controller und Geschäftsführer der Unternehmen. Ich kenne das Problem aus nächster Nähe (und musste mehr als einmal eine Lösung für die Bredouille finden).

    Manager haben die Gefahr unmittelbar nach Beginn der gestörten Lieferketten gesehen und hoch und heilig geschworen, es nicht wieder so weit kommen zu lassen.
    Und Manager haben unmittelbar, nachdem der Suezkanal wieder frei war, die Abhängigkeit von China, Taiwan, Indien nicht nur wieder auf das Vor-Corona-Niveau angehoben sondern sogar darüber hinaus. Scheiss doch auf die Schwüre von gestern! Geiz ist geiler!

    Sogar unsere Konsumenten haben das begriffen und kaufen wie behämmert bei Aliexpress, Shein, Temu, Galaxus usw. - die fliegen das Zeug sogar. Man muss gar nicht mehr sechs Wochen warten. Toll!

    Inzwischen sind essenzielle Fähigkeiten, bestimmte Dinge im industriellen Maßstab kostendeckend herzustellen, im „Westen“ verloren gegangen.
    Handys oder andere komplexe Elektronik in großer Stückzahl produzieren, zum Beispiel.
    Oder bestimmte Grundstoffe für Arzneimittel.
     
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  17. Analysis Paralysis

    Analysis Paralysis Ist fast schon zuhause hier

    Das Tenor Madness Tenor, das ich mal gebraucht bei SOTW gekauft hatte, ist übrigens ein Stiefzwilling des teuren Forestone Tenors, wie ein Schüler (der es mir damals abgekauf hatte) und ich bei Thomann herausfanden.
    Und die leider nicht mehr erhältlichen guten und günstigen Viking-Saxophone kamen aus der selben Fabrik wie die doppelt so teuren Ishimori Woodstone.

    Man sollte also schon genau hinschauen, was man zu welchem Preis bekommt, und ob man in dem Zusammenhang nicht gewaltig verarscht wird.

    Das ist auch der Riesenvorteil, den ich bei Yamaha sehe - und auch bei den Eastman. Mein Tenor wird ja auch in Eastman-Fabriken in China gebaut. Die Qualität ist einfach gleichmäßiger.

    Über Taiwan und Kontakte dahin, Versuche auf die Produktion Einfluss zu nehmen und dann doch zu scheitern, weil zwar freundlich gelächelt wird aber genau das Gegenteil vom Gewünschten passiert, oder das passiert was man will, dafür plötzlich wieder andere Probleme auftauchen kann ich aus Erfahrung mit einer Firma hier ein Buch schreiben.
     
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  18. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Erfahrene Buchschreiber empfehlen den Eigenverlag. :D;)
     
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  19. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    OK, dann mit den Gründen! ;)

    Na klar, erst kommt der Kostendruck und auch Geiz und ein Stück weit die Bereicherung der Geschäftsführer, die die eigene Produktion geschlossen haben, an dem ausbeuterischen System, das sie mit dem namenlosen Produzenten weit weg installiert haben. Der wegfallende Mehrpreis der eigenen Produktion führt nicht wirklich zur Rabattierung sondern zur Ausschüttung an Investoren oder Aktionäre oder Auffüllung der eigenen Kasse - immerhin hat man sich für die großartige Ersparnis einen kleinen Bonus verdient.

    Der europäische Arbeitnehmer nimmt’s entweder passiv hin, geht jetzt Teilzeit ins Home Office, macht auch mal krank weil dadurch eigentlich nichts mehr passiert und heißt jetzt Chief Assistant Sonstwas Manager statt Facharbeiter. Ein bisschen Trickle Down vom Gewinn nimmt er bis zur nächsten Krise vorübergehend mit. Und die Zukunft? Ist äh digital oder so, sind ja ganz neue Zeiten. Oder er sitzt halt schon draußen, wird nicht mehr gehört und lebt vom Bürgergeld.

    Im nächsten Schritt ist die eigene Produktion ganz tot. Der Zukauf ist nicht mehr billiger, sondern alternativlos. Und genau deswegen auch absehbar nicht mehr billiger. Der vermeintliche Vorteil ist dahin, eigentlich macht die Firma gar keinen Sinn mehr, nur dass der Name halt noch ein wenig zieht, im Idealfall ist aber das Haus am Comer See abbezahlt. Früher hat man gesagt, jemand hat das Mobiliar verheizt. Heute nennt man es wirtschaftliche, zukunftsorientierte Betriebsführung. Textbook.

    In den letzten zehn Jahren wurde an allen Krankenhäusern in meinem Dunstkreis die Instrumentenaufbereitung geschlossen oder auf ganz wenige besondere Instrumentenbereiche zusammengestutzt, weil Einwegscheren und -pinzetten aus Fernost billiger sind. Man reißt das Metallteil aus der sterilen Verpackung, schneidet den Verband auf und wirft es nach drei Schnitten direkt in den Müll. Muss man, SOP. Also eigentlich drei Schnitte, man braucht aber ärgerliche fünfzehn ganz im Winkel, weil die Billigschere so stumpf und lose genietet ist. Bessere Scheren, so wie die alten? Nicht finanzierbar, weil viel teurer, sagt der Einkäufer. Das Problem sei bekannt, Beschwerde zwecklos.

    Das ist in so vielerlei Hinsicht falsch gelaufen und wird mit jeder einzelnen Schrottschere noch falscher, die nach der Produktion 500 km LKW fährt, tausende Kilometer durch den Suezkanal geschippert wird und nach dem einmaligen Gebrauch, für den sie eigentlich nicht taugt, in unserer Müllverbrennung landet, während die ehemalige Fachkraft der Instrumentenaufbereitung für den hundertfachen Gebrauch der guten Schere vor der Glotze sitzt und Chips fressen muss, von ein wenig Steuergeld - oder wenn es besser läuft, aufgrund neuer Gesetzgebung 100seitige SOPs schreibt, in denen steht, dass die Schere nach der Benutzung in den Müllabwurf kommt, und welche Warnaufkleber da drauf sein müssen. Das ganze erzeugt dennoch überwiegend Schulterzucken.

    Noch unpolitisch genug? :D
    Ich hör auch schon auf. Ich weiß, hier geht’s nur um Saxophone. Hat ja das eine nichts mit dem andern zu tun, oder?
     
    Hewe, Sax_Player, ilikestitt und 9 anderen gefällt das.
  20. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Nachtrag zu meinem Rant: Nur damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen Produkte aus Fernost, in manchen Bereichen ist sogar das Gegenteil der Fall. Ich bin nur skeptisch gegenüber dem lange Zeit so beliebten Outsourcing der Produktion zur Profitmaximierung mit Schädigung von Wirtschaftsstandorten, egal wo sie stattfindet. Das kann nicht dauerhaft gut gehen. Wir können da nicht in jedem Bereich gegensteuern, aber zu oft könnten wir und denken nicht so sehr darüber nach.
     
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