Bin ich schon zu alt? Ob ich das überhaupt kann? Das sind zwei Fragen, die ich immer wieder höre, wenn es um das Instrumentelernen, an Instrumentenbauen geht. Ich möchte von einer Frau erzählen, die ich ca. 1995 kennen gelernt habe und die damals um die 80 Jahre als war. Sie war die Besitzerin einer Getreidemühle – also eine Unternehmerin – Alter hin oder her: sie stand immer in ihrem Ökoladen und verkaufte. - Die Familie hatte seit Generationen eigene Landtümer, Angestellte und eben auch eine Getreidemühle. Da Klima in der sie aufgewachsen sein musste, war restriktiv: man wusste in der Familie noch was sich gehörte! So war es zum Beispiel verboten sich mit der Tanzmusik abzugeben. Den ganzen Blasinstrumenten mit einem Rohrblatt haftete in ihrem Elternhaus etwas Verpöntes an: das waren die Instrumente, die vom einfachen Volk gespielt wurden, zu ihren Festen, zu Belustigungen, die nieder waren (Kindheit um den ersten Weltkrieg herum). In ihrer Familie wurde natürlichein Instrument gelernt, natürlich wäre es das Klavier gewesen oder die Geige. – Sie hatte Geige gelernt, aber auch wieder aufgehört, denn sie hat ja geheiratet - natürlich. Ihr Mann, ein Musikenthusiast, hatte eine Musikzimmer, dort standen als ich sie kennenlernte 6 beleuchtete Notenständer, mit ausgesuchten Stühlen, alle fein um einen Stutzflügel gruppiert, zur einen Seite hin war eine kleine Kirchenorgel (so richtig mit schönem schlichten Holzaufbau und zinnernen Orgelpfeifen) in der anderen Ecke stand sein Cello. Trotz seines betagten Alter ging er einmal wöchentlich zum Cello-Unterricht und wenn man ihn auf Konzerten traft (meine Frau und ich hatten - zu der Zeit noch ohne Kind – immer irgendwelche Konzertabos), dann hatte der gute, alte Schlngr. (oder wie er heißen mag) die Partituren auf den Schoß. Gut! Vater Schlngr. war als er so um die 50 Jahre alt war, niedergeschlagen, weil es in seiner Umgebung niemanden mehr gab, der mit ihm musizierte. Ich denke, das war eine Frage seines eigen spielerischen Niveaus, eine Frage seines Alters: denn ab eines bestimmte Alters hören sehr viele Leute auf, sich für solche Sachen abzumühen, natürlich kommt auch beim alten Schlngr. hinzu, dass dort ein einfacher Spieler nie ausgereicht hätte, es musste schon ein vornehmer Spieler sein: gebildet, vielleicht Selbständig, mit Sicherheit mit guten Manieren! Ich möchte diese Beobachtung ein zweites Mal aussprechen: ich kenne ganz viele Leute, die hören auf, sich für ihre – vielleicht etwas verrückten Ideen – einzusetzen, wenn sie ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben. Ab und an habe ich das Gefühl, dass Leute vielleicht mit 25 Jahren schon in einen geistigen Vorruhestand gehen und abwarten. Ergebnis: such mal nach Leuten, die mit 45 vielleicht noch ein Instrument spielen. Wenn ich mich mit solchen Leuten unterhalte, habe ich immer wieder das Gefühl, dass es in deren Vorstellungen zwei unversöhnliche Pole gibt: entweder man bekommt das überhaupt nicht hin oder man bekommt das hypermaximal gut hin. Entweder ist man ein weltklasse Fachmann oder Fachfrau oder eine Niete. Immer schwarz-weiß, nie ein sowohl als auch, immer schwingt eine Fraustration mit: denn den weltklasse Fachmann, diesen Alleskönner findet man eigentlich nur in der Werbung. Und damit wird das eigene Leben zur Niete. – Pech gehabt. Vater Schlngr. findet keine Musikanten und nöhlt – ist quengelig. Mutter Schlngr. hatte dann immer gesagt, dass sie es für ihn getan hätte. Aber das sagen die Leute dieser Generation ja alle: immer tun sie etwas für andere, nie für sich selber. Ich glaube ihr das nicht – sie hat für sich begonnen wieder Geige zu lernen. Geige könnte es nicht mehr werden, weil sie doch recht stark Gicht hatte (!), also wurde es Bratsche. Sie ging zu einem Lehrer und der befand: alles verlernt, sie müssen mit 50 Jahren von vorne beginnen. – Ja und dann begann für sie der typische Schüleraltag: Hausaufgaben, Etüden, zum Unterricht antanzen. Nur hatte das alles einen Harken: Bratsche ist toll, sie lernte gut zu spielen, nur das Vibrato ging mit diesen Fingern nicht mehr (schon alles etwas eingekrallt), auf der Bratsche konnte sie ihren Mann gut begleiten – nur, immer dieses verflixte Nur, ... eigentlich hatte sie keine Lust zur Bratsche, sie wollte die Blasinstrumente lernen, die man in ihrer Familie so verpönt hatte: Saxofon, Klarinette und so weiter... Ja und jetzt setzt ein Prozess ein, der wohl 20 Jahre gebraucht hatte. Frau Schlngr. denkt dabei an die Regeln ihrer Familie, an ihre alten, aber aktuell gebliebenen Wünsche, setzt sich mit ihren Möglichkeiten auseinander und kommt mit 75 (!) zum Entschluss, ich versuchen mich am Saxofon, denn das ist ja das einfachere Instrument. Sie hatte neben ihren Noten immer eine Grifftabelle, weil das mit dem Merken nicht immer so gut klappte, aber ihr Spiel war das einer Frau, die sich ihr Leben lang hat durchsetzten müssen! Ausdrucksstark und durchdrungen vom Willen sich diesen Kindheitstraum zu erfüllen. Jetzt gab es aber noch ein Aber, denn trotz dieser Erfolge, war es nicht ganz das Richtige, denn eigentlich wollte sie Klarinette lernen und die ist vom Greifen ja schwieriger, und ob sie das schafft? – Anfang ihrer 80-zigsten Dekade, kauft sie eine Klarinette, wechselt das Fach in der Musikschule und: ... spielt so lange wie sie kann. Diese Familie hat Prioritäten gesetzt: man lebte u.a. für die Musik, was man in ihrem Haushalt umsonst suchte, war Klopapier, dafür wurde die Tageszeitung zerschnitten (1995!): „... ja, bin ich den Krösus? Meint ihr ich habe das Geld geschissen?“ daskli
Ein wirklich schöner Beitrag. Regt zum Nachdenken an. Ich kenne auch einige Leute, die mir sagen ".... ach, in meinem Alter kann ich doch nicht mehr anfangen, ein (neues) Instrument zu lernen......" Manche davon sind über 60, aber es gibt auch welche, die sich mit 28 "zu alt" fühlen.......... so ein Quatsch !!!!!!!