II-V-I Licks üben - mit welchem Ziel?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Meurgly, 28.Mai.2023.

  1. ppue

    ppue Experte

    Ja, das sind die verschiedenen Baustellen auf dem Weg zu einem Charlie Parker. Und all das wächst mit der Auseinandersetzung mit dem Material mehr und mehr zusammen. Ich halte Licks für eine gute Möglichkeit, sich kleine Module zusammenzubasteln. Am besten Licks, die man sich selber erspielt, komponiert oder solche, die man von den Großen übernimmt, herausschreibt und durch die Tonarten übt.
    Dabei geht es weniger darum, einen Lick an einer bestimmten Stelle anzuwenden, sondern im inneren Ohr Vorstellungen davon hat, was hier gut klingt oder wohin eine Phrase führen oder wo sie enden könnte.

    Und ja, für mich ist es keine Frage, ob Licks oder nicht, sondern eine Möglichkeit, sich harmonischen Strukturen zu nähern, sie zu erkennen und sie bedienen zu können. Allerdings ist das nur ein Baustein auf der gesamten Baustelle.
     
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  2. Juju

    Juju Strebt nach Höherem


    Ich kann nur immer wieder dieses Interview mit Eric Alexander empfehlen.
    Und wenn wir darüber sprechen wollen, wie man Licks übt, dann gehört auf dem Weg zum flexiblen Improvisieren das Einbauen üben genauso dazu, das ist der Weg, nicht das Ziel.
    LG Juju
     
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  3. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Dieser Vortrag hier passt meines Erachtens zu einem hier diskutierten Aspekt des Übens von ii-V-I Licks.



    Aus den Überlegungen Erich Fromms heraus kommt auch meine Skepsis gegenüber "Üben" und Systematik, Zielen usw. beim Üben.
    Klar, ganz ohne Korsett und Zwang wird man auch verrückt.
     
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  4. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Hm, den Bezug sehe ich nicht ganz. Was hat das "Üben" und Systematik, Zielen usw. beim Üben zu tun? Wieso wird man ohne Korsett und Zwang auch verrückt?
    Fromm ist doch vor allem bei seinem Lieblingsthema "Haben und Sein" und der Kritik der modernen Industriegesellschaft, Kapitalismus & Co.

    Seine Darstellung der Menschheitsgeschichte, aus der er dann seine Thesen ableitet, finde ich allerdings abenteuerlich und wenig fachlich fundiert, selbst wenn wenn ich ihm zugute halte, dass der Vortrag über 50 Jahre her ist.

    Was mich aber am meisten stört: Er sprich immer von "dem Menschen", als ob alle gleich wären. Meine Erfahrung mit den lieben Zeitgenossen ist eine andere, es gibt soviel unterschiedliche Typen! Heute hat man dafür u.a. den Begriff Neurodiversität eingeführt, die alten Griechen kann das aber auch schon.

    Um zum Thema zurückzukommen: Manche können eben II-V-I Licks oder wasauchimmer 8 Stunden am Tag üben, sich lange Zeit auf eine Sache konzentrieren, andere sind dazu gar nicht imstande oder halten das von vornherein für Unsinn. Manche interessieren sich für sehr viele verschiedene Dinge, andere nur für eine Sache.

    Ein schöne Extrembeispiel beschreibt David Crosby hier:

     
    Zuletzt bearbeitet: 5.Juni.2023
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  5. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Deine Bild kann ich leider nicht ansehen.
    Es ist gut möglich, dass ich von mir selbst auf andere schließe, ich würde aber ansonsten die These verteidigen wollen, dass Menschen den Zwang brauchen, dass sie völlige Freiheit nicht ertragen können, dass sie also immer auch eine masochistische Seite haben.

    Ich übe natürlich viel und auch ii-V-I-Licks, aber für mich persönlich (hier gestehe ich eher ein, dass das vielleicht nur eine persönliche Erfahrung ist) hat es wenig Sinn, mir Ziele zu setzen, mir vorzunehmen, dieses und jenes zu üben.
    Inzwischen habe ich einfach immer ein Repertoire an Dingen, die mich beschäftigen, die ich üben möchte, und wähle daraus aus.
    Mir vorzunehmen, so-und-so-lange dieses und jenes zu üben, sorgt bei mir für mehr Hämmungen, als einfach in das Üben hereinzurutschen und dann zu merken, wie die Zeit doch vergangen ist (und ich übe nicht nur rumnudeln, sondern u.a. Patterns mit Metronom).
     
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  6. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Den Link habe ich korrigiert ;)

    Mach ich wohl auch...will sagen, auch Du musst deinen Weg finden. Deswegen habe ich Schwierigkeiten mit Aussagen wie "dass Menschen den Zwang brauchen, dass sie völlige Freiheit nicht ertragen können."

    Ein Beispiel aus meinen Studientagen an einer Uni mit relativ unstrukturiertem "Reformstudium": Für manche war es ein Segen, sie konnten frei nach ihren Interessen bestimmen, was sie machen, wann sie es machen und was sie nicht machen. Für andere war es die Katastrophe, da sie eine klare Ansage gebracht hätten, was sie wann tun sollen; sie brachen dann irgendwann ab.

    Soweit zu den individuellen Unterschieden. Keinem ist hierbei was vorzuwerfen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 5.Juni.2023
  7. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Klar, wir Menschen sind da alle auf einem Spektrum.
    Meine Aussage halte ich weiterhin für wahr, sehe aber auch ein, dass sie womöglich etwas banal ist, weil sie natürlich nur zutrifft, wenn man sich zum Totalen des "Menschen an sich" auch das Totale der "Freiheit an sich" denkt.
    Ein Leben in völliger Freiheit ist wahrscheinlich völlig unmöglich, weshalb die Richtigkeit der These, dass völlige Freiheit wahnsinnig mache, nicht bestätigt werden können wird.

    Deine Unigeschichte ist freilich kein Beispiel völliger Freiheit, da es zum einen durchaus Pflichten gab und zum anderen die Studenten ihre eigenen, eingeschränkten Leben lebten, die Zeit der großen Freiheit überdies noch begrenzt war.

    Mir geht es eher um den Konflikt, dass meine Identität sich immer aus Sinn, der sich aus angenehmer Erfahrung, aus Prägung, ergibt (oder aus Schicksal, wie man mag), und äußerem Sinn zusammensetzt.
    Der Mensch sucht sich meiner Meinung nach immer einen äußeren Sinn, der den inneren Sinn lenkt. Lacan hat dazu ein Modell von dem Großen Anderen und dem Kleinen Anderen, ist aber lange her, vielleicht erinnere ich das falsch.

    Worum es mir jedenfalls geht, ist, dass ich meine, dass meine Selbsterfahrung erst gut ist, wenn ich innerem Sinn folgen kann (ich liebe zum Beispiel bestimmte Musikrichtungen, wobei Musik wahrscheinlich selbst nicht einmal die tiefste Ebene dieses inneren Sinns wäre, wenn man es zu Ende dächte), aber auch zu einem Teil gelenkt werde, einen Rahmen habe, innerhalb dessen ich meine individuellen Neigungen ausleben kann.

    Oder, um die unerträgliche Banalität dieses mich trotz seiner unnötigen Komplexität reizenden Gedankengangs auf den Punkt zu bringen:

    Das Schlaraffenland ist die Hölle
     
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  8. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Insoweit die, die mit der Freiheit umgehen konnten, das „Ziel“ erreicht haben, war das sicher die erfolgreichere Variante des „Freisetzen akademischen Potenzials“. Insbesondere für die Forschung, die auf unkonventionelle Impulse angewiesen ist (je weiter von der Naturwissenschaft entfernt, desto mehr… obwohl…?)

    Anders gesagt: Die Verschulung bis weit über das Examen hinaus hat im realen Leben selten zu verwertbaren Erfolgen geführt. Ich durfte Dutzende Absolventen von Eliteunis erleben, denen einfachster Menschenverstand schwer fiel. Ein Unternehmen mit 10 Millionen Umsatz kann keine 15 Millionen Kosten einsparen…
    Als Gegenentwurf habe ich einige wenige Freigeister mit einem (für das sehr junge Alter) wirklich universellen Blick auf die Welt getroffen.
     
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  9. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    :lol::lol::lol:

    CzG

    Dreas
     
  10. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Bei mir persönlich gar keinen. Weil ich Improvisation an sich nicht unbedingt nötig finde. Es gibt genügend Songs, die man nach Noten spielen kann. Sicherlich daddele ich auch mal rum, und jetzt mit der Zeit kann ich das immer besser, manchmal macht es mir sogar Spaß, das kurz mal anzuwenden, aber dann komme ich doch immer wieder zu den Sachen zurück, die es schon gibt. Die sind so viel besser als alles, was ich selbst erfinden könnte, warum sollte ich da improvisieren? Das haben Leute vor mir - schon bei Bach angefangen - viel besser gemacht, als ich das jemals werde tun können. Da werde ich nie viel erreichen. Und das ist auch gar nicht mein Ziel beim Saxophonspielen. Um nur so ziemlich schlechte Impros zu spielen, dafür ist mir meine Zeit ehrlich gesagt zu schade.

    Für Leute, die gern improvisieren, ist das natürlich anders. Die ziehen ganz andere Sachen daraus. Ich ziehe aus Improvisation eigentlich nichts. Ich möchte Musik machen und das kann ich auch, ohne zu improvisieren. Licks ... ja, das kann man machen, aber da komme ich mir immer wie ein trainierter Affe oder ein Papagei vor, der nur das nachspielt, was andere vor ihm gespielt bzw. erfunden haben. Dann kann ich auch gleich nach Noten spielen. Wozu das führen soll, nämlich dass man selbst dann frei irgendwelche tollen Improvisationen erfindet oder spielen kann, das kann ich nie erreichen. Und will ich eigentlich auch gar nicht. Das sollen die machen, die das gern wollen und gut können, und denen höre ich dann gern zu.

    Aber ich persönlich muss das nicht haben. Auch wenn ich die Harmonien, die ich mir jetzt aneigne, durchaus interessant finde. Aber wenn man etwas nur so stümperhaft machen kann, wie meine Impros meistens sind (auch wenn manche Leute im Publikum mich gelobt haben, aber die haben ja noch weniger Ahnung als ich ;-)), dann lohnt es sich eigentlich nicht. Dann mache ich lieber Dinge, die ich wirklich gut kann, und das ist, nach Noten zu spielen und dadurch mit meiner Band Spaß zu haben. In der Band muss man eben vor allem zusammenspielen können, und das finde ich auch sehr schön.

    Außerdem, was nützt mir so ein Lick, wenn ich dann nicht einmal daraus gelernt habe, wie man einen Latin-Song sinnvoll von einer Stimme auf zwei Stimmen erweitern kann? Das ist doch alles sehr begrenzt auf eine bestimmte Art von Jazz. Ich hätte lieber etwas, das ich allgemein anwenden kann, auf alle Musik, nicht nur auf Jazz. Was ja wirklich nur ein sehr kleiner Anteil an dem ist, was Musik ausmacht. Ein sehr begrenztes Genre für alle die, die Jazz mögen und den spielen wollen. Ich mag Jazz zwar durchaus, aber ich mag auch viele andere Arten von Musik bis hin zu Oper. Da nützt mir das alles nichts. Aber wenn man ein richtiger Jazzfan ist, ist das natürlich eine ganz andere Sache. Dann trifft das alles, was ich hier gesagt habe, nicht zu. Für Leute, die nicht nur deshalb Saxophon spielen, weil sie unbedingt Jazz spielen und improvisieren wollen, sondern die mehr so allgemein Saxophon spielen wollen, ohne dass Jazz dabei eine große Rolle spielt, ist all diese Lick-Geschichte allerdings höchstens mal eine Fingerübung, damit man besser greifen lernt. Dafür nützt es natürlich immer.
     
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