Ne saublöde Frage: Was ist eigentlich Jazz?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von saxsten, 9.November.2019.

  1. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Die Beispiele sind auch überhaupt nicht mein Ding. Es ist aber auch nur EIN Stil des Jazz von vielen Anderen.

    Zugegeben, viele Laien verbinden mit Jazz ausschließlich diesen Stil und sind überrascht, wenn man andere Jazzstile vorspielt.

    Dann bekomme ich oft zu hören, „ach, das ist auch Jazz? Wußte ich gar nicht. Gefällt mir.“ (wurde hier auch schon erwähnt. )

    Hör Dir mal bewußt z. B. Stan Getz, Lester Young, Paul Desmond, Scott Hamilton, Ben Webster an.

    Ich vermute das wird die gefallen. Jazzsaxer....Old School...

    Dann Charlie Parker, Johnny Stitt, Michael Brecker, Dexter Gordon, John Coltrane

    Vermutlich wird‘s da schwieriger....ist aber noch kein Free Jazz.
    (Coltrane hat aber auch Free Jazz gespielt)

    Dann Miles Davis (Album „Kind of Blue“, Meilenstein des Jazz!)
    Herbie Hancock, Oscar Peterson...sollte eher gefallen?

    Bei Thelonious Monk wird‘s dann wahrscheinlich auch gewöhnungsbedürftiger...

    Duke Ellington, Count Basie, Benny Goodman....die großen Big Bands des Swing....

    Oder Gesang.....Ella Fitzgerald, Etta James, Billie Holiday, Nina Simone, Gegory Porter, Frank Sinatra (Franky wurde hier auch schon als Pop empfunden. Im übrigen der Jazz der 20er/30er war damals Pop!!!!)

    Werden Dir wohl gefallen....

    Dann gibt‘s noch Grover Washington jr. , Dave Koz, Kenny G am Sax....da kann es bösen Streit geben, wenn das jemand „Jazz“ nennt.....

    Hören, hören, hören.....

    CzG

    Dreas
     
  2. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Andreas,

    auch deine Aufstellung ist eher Mainstream. Es gibt so viele lebende Jazz-Musiker, die wunderbaren „gut anhörbaren“ Jazz spielen.

    Hören, hören und neugierig sein, sind die besten Voraussetzungen, um die persönliche Jazz-Musik zu finden. Da sind wir uns einig.

    Gruß
     
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  3. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Genau....weil man jemand, der anfängt sich mit Jazz zu beschäftigen nicht gleich Brötzman präsentieren sollte.

    CzG

    Dreas
     
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  4. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

  5. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    @Dreas Ach Gottchen! Bis du neuerdings hier pädagogisch unterwegs? Musst arme Seelchen beschützen? Hat irgend jemand deinen Schutz nötig?

    Ich bin der Provokateur von #42 :cool2: Und unten drunter schrieb ich:

    Das ist eigentlich pädagogisch genug. Und auch ich höre meistens andere Musik, spielen kann ichs eh nicht.
     
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  6. saxsten

    saxsten Ist fast schon zuhause hier

  7. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Vorgestern in der Elbphi war das nicht so richtig doll Jazz ... und was er mit dem Hilliard Ensemble gemacht hat könnte man vielleicht in die moderne Klassik einordnen.
    Garbarek ist insofern eher ein Beispiel für den Wanderer zwischen den Welten, die es auch gibt.

    Trotzdem wird er - weil er mal als Jazzer bekannt geworden ist - immer als Jazzer geführt.

    Schubladen sind Mist...
    LJS
     
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  8. Rick

    Rick Experte

    Hier meine seriöse Antwort als jemand, der früher ein wenig Musikwissenschaft studiert hat, auf die Eingangsfrage:

    Jazz ist ein musikalisches Phänomen. Jazz WAR früher (erste Hälfte des 20. Jahrhunderts) eine Stilrichtung und hat dann musikalisch-gesellschaftlich eine Eigendynamik entwickelt, die meiner Ansicht nach ihresgleichen sucht.

    Betrachten wir mal die Entwicklung des Begriffs "Jazz": Zunächst war es eine Art Synonym für "Hot", und das war keine Musikrichtung, sondern eine Spielweise. Die Unterhaltungskapellen im Süden der USA spielten Anfang des 20. Jahrhunderts populäre Melodien, vom Volkslied bis zum Schlager, manche "brav" nach Noten, dazwischen gab es aber auch immer wieder temperamentvoll-expressive Ausbrüche in der Tradition, die sich (leider unter Ausschluss der breiteren Öffentlichkeit) schon in früheren Jahrhunderten dort (Louisiana, speziell New Orleans) entwickelt hatte. Damit begann die Dynamik, denn solche "hot" spielenden Solisten, die zunächst nur die vorgegebenen Melodien entsprechend interpretierten, davon ausgehend immer kreativer bis hin zur eigenständigen Improvisation wurden, beeinflussten mit ihrer Spielweise auch die Begleitmusiker, die sich dann entsprechend anpassten. Und wiederum andere Melodiespieler inspirierten.
    Dieses "hot" Spielen wurde unter den jungen Zuhörern immer beliebter, entsprechend wuchs die Nachfrage nach solchen Bands, die komplett "hot" Musik zu Gehör brachten. Junge nicht-Afro-Amerikaner wurden bald ebenfalls von diesem musikalischen Virus "befallen" und brachten ihre Versionen davon auf die Bühne, natürlich mehr für ihr "weißes" Publikum. Es entstanden weitere Begriffe, Etiketten für diese neue Art des Musizierens, zum Beispiel "Jass" (= Ekstase).
    Mit der Migration der Afro-Amerikaner fort aus dem rassistischen Süden in die großen Industriestandorte im Mittleren Westen und Norden breitete sich auch diese Musizierweise aus, denn die Musiker des Südens litten ebenfalls unter der Diskriminierung und gingen dorthin, wo sie auf ein vorwiegend "schwarzes" Publikum trafen, das ihre Musik als willkommene Abwechslung und Zerstreuung nach der harten Arbeit in den Fabriken sehr schätzte. Dementsprechend war es immer eine Musik der Unterhaltung, der Lebensfreude, der Hoffnung auf Freiheit von Knechtschaft. So kam automatisch der politische Aspekt des "Jazz", wie die Musik nun genannt wurde, in die Rezeption.

    Diese aufregende neue Musik rief Vermarkter auf den Plan, das Plattengeschäft blühte auf, immer mehr junge Musiker hörten sich Aufnahmen der "Pioniere" an, spielten sie nach, bereicherten die Nachspielungen mit eigenen Ideen und Stilistiken, die Eigendynamik kam weiter in Fahrt.
    Die Bühnen veränderten sich, aus den ursprünglichen Show- und Zirkuskapellen wurden größere Orchester mit mehr als 10 Musikern, sie konnten größere Säle beschallen, das Instrumentarium wurde festgelegter, man spielte jetzt vermehrt in Tanzsälen, die Tänze dazu wurden auch erfunden, vom fetzigen Charleston bis zum artistischen Lindy Hop und Jitterbug. Längst gab es herausragende, einflussreiche Musiker jeglicher Herkunft und Hautfarbe, die sich auch gegenseitig respektierten.
    Durch die Schallplatten, die man immer wieder abspielen und genau studieren konnte, wuchs die Bedeutung der improvisierten Solos, die nun zum wesentlichen Merkmal des Jazz wurden. Musiker verfeinerten so ihre Spielweise, neigten zu immer größerer melodischer Komplexität, der Erfindungsreichtum wurde zum wichtigen Kriterium eines "gelungenen" oder "wichtigen" Solos.
    So kam es fast zwangsläufig zum Modern Jazz in Form von Bebop und Nachfahren.

    Inzwischen hatten (vorwiegend europäische) Journalisten Jazz zur eigenständigen Kunstform ernannt, man suchte mit intellektuellem Fleiß nach den künstlerischen Aspekten der Musik, Musiker aus den USA wurden zu Tourneen nach Europa (meistens England und Frankreich) eingeladen, die sich für sie zu wahren "Triumphzügen" auswuchsen. Während zu Hause die Musik immer noch vorwiegend als Unterhaltung wahrgenommen wurde, feierte man sie in Übersee als große Künstler, was wiederum in der Heimat zuerst mit Verwunderung zur Kenntnis genommen wurde, aber unter Journalisten, Fans und natürlich jungen Musikern ebenfalls die Wahrnehmung veränderte. Die Musiker wurden selbstbewusster, stolzer, mutiger und auch politischer, sagten in Interviews immer unverblümter ihre Meinung, setzten sich für Unterdrückte und immer bessere Ausbildung des Nachwuchses ein.
    Die Eigendynamik setzte sich fort - in Richtung Demokratie, Menschenrechte, Pazifismus. Jazz beeinflusste die Literatur, Bildende Kunst, das Theater und den Film. Jazz wurde zum Prädikat "Besonders wertvoll", die Anforderungen an Jazzmusiker wuchsen, sie mussten immer größere Fähigkeiten entwickeln, um immer komplexere Improvisationen abzuliefern, Jazz war quasi "Pop mit hohem Anspruch".
    Und die Europäer wussten vortrefflich darüber zu streiten, was denn nun Jazz sei und was "bloße Unterhaltung", also minderwertiger...

    Das war die Eigendynamik des Begriffs "Jazz" - anfangs noch relativ klar definiert, verlor sich die Begriffsschärfe im Lauf der weiteren Entwicklung, während sich diese Musik immer weiter ausbreitete und in zahlreiche eigene Spielarten zersplitterte.
    Heute ist "Jazz" deshalb meiner Ansicht nach ein Phänomen, wie ein Geist, der, einmal der Flasche "Definition" entwichen, sich nicht mehr dorthin zurück bewegen lässt. Alles kann Jazz sein, oder auch nicht, je nach Standpunkt des Betrachters.
    Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna? ;)

    Meine Ansicht: Mich fasziniert der alte Jazz seit meiner Jugend, ich erkenne mich im Werdegang der jungen Jazzer aus den 20er Jahren wieder, die staunend diese Musik hörten und beschlossen, so etwas auch mal spielen können zu wollen. Seit damals starten Jazzer immer als begeisterte Fans, die in dieser Musik etwas entdeckt haben, das sie nicht mehr los lässt: Energie, Lebensfreude, direkter künstlerischer Ausdruck, mitreißender Rhythmus, große kreative Freiheit usw.
    Überall, wo ich diese Eigenschaften höre, mag ich gerne "Jazz" erkennen. :cool:
     
    Zuletzt bearbeitet: 13.November.2019
  9. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Ach Gottchen, Du warst doch gar nicht gemeint....es ging um Brötzmann, den man sicher als stilbildenden Jazzer erwähnen muss....ist aber eben nicht leicht zugänglich.

    Und warum Du gleich persönlich werden mußt erschließt sich mir nicht.

    CzG

    Dreas
     
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  10. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Ich war derjenige, der Brötzmann und die anderen Saxtremisten erwähnt hatte, also war ich gemeint mit deiner Kritik, wenn auch nicht direkt ausgesprochen, sondern so verschwiemelt hintenrum. Darauf habe ich reagiert.
     
  11. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Es gibt auch Beispiele dafür, wie das "exklusive" Image des Jazz (in meinen Augen) missbraucht werden kann, wobei natürlich das Ungenaue und Ungefähre in den Jazz-Definitionen eine Rolle spielt: in einem Städtchen nicht weit von hier gibt es einen Verein namens "Jazz Club" eines lokalen Immobiliengeschäftsmannes, um den sich die üblichen Verdächtigen geschart haben, die eben die Nähe solcher schillernden Erfolgsfiguren suchen. Niemand aus diesem Club (der keine Location betreibt) ist je auf einem Jazzkonzert in der Umgebung gesehen worden, niemand hat auch Kontakt zu hiesigen Musikern oder ist sonstwie aufgefallen als Jazzfan.

    Dieser Verein veranstaltet nun jährlich mit großem Presse- und Plakatrummel Anfang Dezember ein Jazzfestival, dessen Programm alle Jahre wieder zeigt, was die Damen und Herren mit der Vokabel Jazz alles verbinden: dieses Jahr treten auf: ein Boogie-Woogie-Trio, eine 50er Jahre Rockabilly-Band, eine Soul-Sängerin mit Band, und (wenigstens) ein Quartett mit "New Orleans" im Bandnamen.

    In dieser "Bandbreite" geht das Jahr um Jahr.
     
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  12. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Vielleicht ist die Antwort doch ganz einfach und gar nicht so kompliziert. Vielleicht ist Jazz einfach für jeden etwas anderes und nicht in Schubladen zu stecken. Mann könnte ja auch sagen Jazz ist der Oberbergriff verschiedenenr Musikstile,so wie Klassik ja auch der Oberbegriff verschiedener Musikstile ist,oder Rock.

    Eigentlich eine ganz einfache Antwort
     
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  13. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Aber es ist doch schön das sowas überhaupt gemacht wird,egal wie sich das schimpft
     
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  14. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Jazz erschliesst sich durch hören, wobei ein Livekonzert von Stilen, die vielleicht auf Konserve nicht so toll sind, sich plötzlich erschließen, weil einfach der Live - Spirit eine Rolle spielt.
    Ansonsten einfach mal bei Traditional Jazz anfangen und sich langsam an der Musikgeschichte entlang hören. Dazu vielleicht ein gutes Buch über die Jazzgeschichte oder gleich die DVDs von Ken Burns anschauen.
     
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  15. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ähnliches habe ich auch schon leider erlebt. Oder dann auch mal sowas:
    Wir haben bei einer Veranstaltung Songs aus dem American Songbook, sprich Standards, gespielt, da das Publikum mit moderneren Stilen überfordert gewesen wäre. Nach dem Konzert kam ein älterer Herr auf uns zu und fragte, ob wir nicht Jazz spielen könnten. Als ich ihn fragte als was er unsere Musik denn dann bezeichnen würde antwortete er: nicht als Jazz, alles nach Dixieland ist kein Jazz mehr........
     
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  16. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ohne Frage Jazz ist nur ein Oberbegriff mit zug Stilen aber das ist ja das, was die Definition so schwer macht und der Fakt, dass es so viele Crossover Sachen gibt.
     
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  17. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    @Rick
    Vielen Dank, ich finde das sehr gut dargestellt :)

    Gruß,
    Otfried
     
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  18. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Diese Auffassung kenne ich auch!
     
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  19. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Ich hätte mal beinahe eine Buchung für eine Goldenehochzeitfeier für meine Bebop-Combo angenommen. Ein bischen eingehender mit dem Auftraggeber zu reden, kann ganz hilfreich sein: er wollte gern "Amsonntagwillmeinsüßermitmirsegelngehn" und "Annelieseachanneliese" und "Meinkleinergrünerkaktus" hören. Das war halt sein Begriff von Jazz...
     
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  20. saxsten

    saxsten Ist fast schon zuhause hier

    ...das wäre sicher "lustig" geworden!:lol:
     
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