Wieviel Cent Abweichung auf dem Stimmgerät sind hinnehmbar

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von JTM, 15.Dezember.2024.

  1. scenarnick

    scenarnick Admin

    Schon darunter mit guten VST Instrumenten in der DAW
     
  2. Perlvatt

    Perlvatt Schaut öfter mal vorbei

    Ich vermute, zum Thema Intonation gibt es bereits einige alte Threads. Darum nur ganz kurz:
    Wenn du eine richtig gute Intonation haben möchtest, solltest du dir für fast jeden Ton bewusst überlegen, nach welchem Intonationssytem du ihn spielen möchtest. Pythagoräisch (hohe Leittöne, große Ganztöne), wohltemperiert (alles leicht daneben, das zeigt das Stimmgerät an) oder gleichschwebend (wenig Schwebungen in den Obertönen, oft die beste Lösung im Quartett).
    Wenn du weißt, wie du intonieren möchtest, musst du es dann noch lernen, zu hören, ob du nach dem gewünschten System spielst und brauchst dann auch noch die Fähigkeit, blitzschnell zu korrigieren. Das ist leider eine Lebensaufgabe.
    Vom Cellisten Gerhard Mantel gibt es ein sehr gutes Buch zu dem Thema. Da werden Theorie und Praxis (allerdings für Streicher) sehr gut erklärt.
     
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  3. Cazzani

    Cazzani Schaut öfter mal vorbei

    Der Grund dafür, dass in wirklicher Musik die Null-Cent-Abweichung nicht sauber klingt: Zwölf reine Quinten (Frequenzverhältnis 1,5) übereinander gestapelt (Frequenzverhältnis 1,5 hoch 12, also 129,75...) sind etwas mehr als sieben Oktaven (Frequenzverhöltnis 2 hoch 7, also 128). Drei wirklich reine große Terzen (Frequenzverhältnis 1,25 hoch drei, also 1,953...) sind etwas weniger als eine Oktave (Frequenzverhältnis 2).

    In der gleichschwebenden Stimmung, die auch das Messgerät zeigt, wird ein Kompromiss gefunden, indem das Frequenzverhältnis von zwei nebeneinander liegenden Halbtönen zwölfte Wurzel aus zwei ist - dieser Wert zwölfmal aufeinander multipliziert ergibt zwei, das Frequenzverhältnis der Oktave, aber dieser Wert viermal aufeinander multipliziert gibt mehr als 1,25, die Terz. Zwölfte Wurzel aus zwei hoch sieben gibt weniger als 1,5, das Frequenzverhältnis der Quinte. So ist jedes Intervall unsauber, aber alle Akkorde notfalls verwendbar.

    Ein professioneller Orchestergeiger spielt deshalb den gleichen Ton nicht immer in der selben Höhe, sondern verschieden, abhängig vom harmonischen Zusammenhang. Das E im C-Dur-Akkord ist ein anderes als in A-Dur. Nur so können beide Akkorde wirklich rein klingen. Ein gutes Saxophonquartett muss das gleiche tun, um sauber zu klingen. Das von @Sax Ralf gepostete Video (Beitrag #6) zeigt das sehr deutlich.

    Wenn man die Null-Cent-Abweichung vom Messgerät trainiert, lernt man nur, mit einem gleichschwebend gestimmten Klavier wirklich einstimmig zu spielen. Saubere Akkorde entstehen so nicht.
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.Dezember.2024
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  4. Wuffy

    Wuffy Gehört zum Inventar

    Die tollsten Karaoke-Playbacks sind über Midis und authentisch gesampelten Virtuellen Instrumenten (VST Instrumente) gemacht und produziert.

    Ebenso heutzutage fast die meisten Studio-Produktionen aktueller Vocal-Songs, bei denen man sich die teueren Studiomusiker einfach einspart, weil die Sounds der Begleitung von den gesampelten Instrumenten so gut ist, dass man sie kaum noch von den echten Musikern unterscheiden kann.

    Gr Wuffy
     
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  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Öhm, und die spielen dann in reiner Stimmung?
     
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  6. scenarnick

    scenarnick Admin

    MIDI sagt nur "Das ist ein C1" oder so und "die Note fängt jetzt an und hört jetzt auf". Das VST Instrument kann rein, temperiert oder sonst wie gestimmt sein. Genau wie ein angeschlossener Synth oder ein sonstiger externer Tongenerator. Die meisten heutigen Produktionen im Bereich Pop / Rock, aber auch andere, nutzen MIDI um zwischen Instrumenten diese Daten (welche Note, wann On, wann Off, ggfs. Programmwechsel oder Haltepedal) auszutauschen.

    MIDI hat einen schlechten Ruf bekommen wegen der "GM" (General MIDI) Bibliothek, die mal irgendwann auf Windows implementiert wurde und Instrumente schlecht emuliert hat. Daraus hat sich die Hypothese abgeleitet, MIDI klinge wie 8-bit Grafik eines Commodore 64 aus den 80ern.

    Tatsächlich ist aber MIDI als Kontroll-Protokoll omnipräsent in "produzierter" Musik. Schlecht klingen tut MIDI per se nicht (MIDI klingt gar nicht) und der Klang kommt von den Instrumenten, die per MIDI angesteuert werden.
     
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  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Wie isses denn nun in guten Produktionen gestimmt?

    Und wenn es denn reiner Stimmung spielt, was passiert bei einem Tonartwechsel von C- nach Fis-Dur. Spielt das VST-Instrument dann Fis-Dur in reiner Stimmung? Dann müsste es ja den Song erst einmal analysieren und die Töne umstimmen. Eine Info, die eine Mididatei ja nicht mitliefert. Und was, wenn dann ein wohlig temperiertes Klavier dazuspielen soll?

    Ich glaube, dass wir uns so an die gleichmäßige Temperatur gewöhnt haben, dass uns diese als die stimmigere vorkommt und rein gestimmte Mehrstimmigkeit eher komisch klingt.
     
  8. scenarnick

    scenarnick Admin

    Ich habe außer Sakralorgeln noch keine VST Instrumente gefunden, die nicht temperiert gestimmt wären.
    Die Analyse, in welcher Tonart das Stück steht, wird nicht von MIDI durchgeführt, sondern von demjenigen, der die Settings am VST Instrument vornimmt. D.h., der Benutzer, der im Studio ein solches Instrument einsetzt, muss ich ganz genau klar sein, was musikalisch da geschieht.
     
  9. ppue

    ppue Mod Experte

    Also ich behaupte mal, dass die ganze Musik gleichschwebend produziert wird. Nochmal: Wenn die Tonart wechselt, müsste ja das Instrument (natürlich durch den Benutzer, das ist schon klar) während des Stückes umgestellt werden.

    Man kann also davon ausgehen, dass die Produktion nicht mit reiner Stimmung arbeiten (meine Vermutung) und insofern klingt auch ein Sax am besten zum Playalong, wenn man spielt, wie einem das Stimmgerät angibt. Beim Sax-Quartett ist das allerdings dann anders, denn da kann man natürlich "reiner" spielen.
     
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  10. Cazzani

    Cazzani Schaut öfter mal vorbei

    Nein,
    Nein, "rein gestimmte Mehrstimmigkeit" klingt nicht komisch. Es gibt nur verschiedene Versuche, das Problem "pythagoräisches Komma" hierhin oder dahin zu schieben, aber keine absolut reine Mehrstimmigkeit. Ich habe eine kleine Truhenorgel, 49 Holzpfeifen für Renaissancemusik, die ich auch selbst stimme. Sehr gern mitteltönig, was saubere, warme Akkorde macht. Danach mag man dann gleichschwebend gestimmte Tasteninstrumente nicht mehr hören, das klingt alles irgendwie falsch und kneift ins Ohr. Aber bei der mitteltönigen Stimmung bleiben ein paar Akkorde übrig, die dann völlig unbrauchbar sind. In der Renaissance und im Frühbarock verzichtete man auf einige Tonarten, damit die anderen umso angenehmer klangen.

    Trotzdem gab es Versuche, dieses Problem beim Klavier zu lösen: Da Gis und As zwei deutlich unterschiedliche Töne sind, wenn wir reine Akkorde hören wollen, liegt es nahe, die Obertasten eines Tasteninstruments doppelt zu bauen.

    Da muss man praktisch noch mal Klavier spielen lernen. Aber es klingt fein. Die Instrumentenbauer des 16. und 17. Jahrhunderts haben sich dafür allerlei einfallen lassen. Und die Komponisten haben es benutzt, um Dinge hörbar zu machen, die bis dahin harmonisch auf Tasten nicht darstellbar waren. Hier ein Cembalo mit 24 Tönen pro Oktave und harmonisch recht wilder Musik:



    Das war schon vor 350 Jahren eine klangschönere und physikalisch befriedigendere Lösung als das gleichschwebend temperierte Stimmgerät. Hat sich trotzdem nicht durchgesetzt - das "wohltemperierte Klavier" war der mehrheitsfähige Kompromiss, kann aber in der Intonation der Akkorde mit keinem guten Saxophonquartett mithalten.
     

    Anhänge:

    Zuletzt bearbeitet: 15.Dezember.2024
  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Warum gerade Gis und As? Kommt doch eher drauf an, für welche Tonart gestimmt wurde. Das kann doch genauso gut die Töne Cis und Des betreffen.
     
  12. Cazzani

    Cazzani Schaut öfter mal vorbei

    Ja, natürlich. Und in dem Video sieht man auch die Tasten His und Eis.
     
  13. ppue

    ppue Mod Experte

    Das Urteil würde ich denen überlassen, die das so empfinden. Du gehst da von dir aus, wo du dich mit verschiedenen Temperierungen befasst.
     
  14. Cazzani

    Cazzani Schaut öfter mal vorbei

    Das ist primär keine Frage der Theorie (auch wenn die Theorie es beschreiben kann). Sondern eine Frage der Ohren - eine reine Terz klingt anders, auch für Leute, die nicht wissen warum. Im Video im Beitrag #6 in diesem Thread die erste Viertelminute, dann hörst Du, was ich meine.
     
  15. Cazzani

    Cazzani Schaut öfter mal vorbei

    Das Cembalo oben wurde ja auch nicht für Akustik-Freaks gebaut, sondern für ganz normale Leute, die angenehme Musik hören wollten, und für Komponisten, die interessante Harmonien schreiben wollten, ohne das mit unsauberen Tönen zu bezahlen.
     
  16. elgitano

    elgitano Ist fast schon zuhause hier

    ¿auch beim Saxophon? ACHTUNG: eine provozierende Frage

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    Claus
     

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  17. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Wie gut, dass wir saxophonisten die Tonhöhe über den Ansatz situationsgerecht anpassen können.
     
  18. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    in der nachbearbeitung ist das ziemlich einfach, die terzen, bzw sexten zu bereinigen. dafür gibt es ja extra software wie zb melodyne. lohnen tät das eber nur bei sehr konsonanter musik, die von reinen intervallen auch profitieren kann.
     
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  19. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Statt jetzt aus der intervalltheorie zu kommen, nach der sich für ein und denselben Ton andere frequenzen rechnerisch ergeben (und tlw vom ohr erwartet werden), mal der Versuch das ganze aus meinem Alltag zu erklären.
    Ich klimpere etwas gitarre. Nicht oft, nicht gut.
    Daraus ergibt sich, das Teil muss gestimmt werden.
    Der erste Schritt ist immer, mal nacheinander alle saiten anzuspielen. Wer etwas gitarre kann, weiß, wie die Töne der leeren saiten zueinander ungefähr klingen müssen. Das kann ich schon mal anpassen, ohne Hilfen (also bestimmte Bünde greifen, tuner etc.). Wenn ich da jetzt hinterher das messmich nehme komme ich auf etwa 5ct relative Abweichung.
    Der nächste Schritt ist dann, eine Saite nach stimmgerät auf eine Referenzfrequenz zu stimmen. Ohne weitere Hilfen passe ich die anderen saiten nacheinander an, messe hinterher... wieder 5ct.
    Jetzt kommt der hilfsgriff, benachbarte saiten gleich klingen zu lassen... messen, und ich bin auf 2-3ct runter. Die Abweichung der benachbarten Saite, die ich ursprünglich gestimmt hatte sind geringer, werden zunehmend aber größer.
    Jetzt greife ich einen akkord. Würg, klingt der sch... Also stimme ich jetzt den akkord, ev die akkorde, durch, messe, und bin sehr häufig auf 0ct.
    Vielleicht macht das meine Antworten, "verlass die auf die Ohren", "es kommt auf den Zusammenhang an" und "0ct" etwas klarer.

    Nun kann man eine bessere Gitarre noch genau stimmen, so dass es für die allermeisten griffe passt.
    Beim Saxophon ist das pauschal so nicht der Fall. Hier gibt es m.W. 4 große Faktoren, die einer durchgehend genauen Stimmung des Instruments entgegenstehen
    1. Konstruktion. Das Ding ist schon ab Werk unsauber, oder hat einen Defekt
    2. Klappenaufgänge passen nicht
    3. Gerade bei vintage passen Mundstück und Instrument nicht zusammen
    4. Der Spieler stimmt das Instrument nicht richtig bzw muss es auf einen grundton stimmen, für den das Instrument nicht konstruiert wurde.
    Jetzt kann ich auf dem Saxophon keine akkorde spielen, zumindest nicht so, dass mehrere Töne gleichzeitig klingen wie auf der Gitarre oder dem Klavier. Daher wäre bei mir eine Intonation beim solospiel ohne Referenz von etwa 3ct schon gut.
    Spiele ich aber mit Referenzen, einem playalong oder gar einer Band (mit Klavier, damit jetzt nicht mit intervalltheorie argumentiert wird), reichen die 3ct nicht mehr...
    Damit man sein Gehör darauf konditioniert solche abweichungen zu hören die Empfehlung mit drones zu üben. Da gibt es sehr schnell unangenehme schwebungen, wenn was nicht passt.
    So viel zur Theorie. Jetzt sitzt du in der bigband, die hat mal vor der Probe gestimmt, jeder hat mehr oder weniger gut sein Instrument angepasst... und du hast eine quasisolostelle mit der 2.trompete....ich denke die meisten wissen, was jetzt kommt. ;)
     
  20. JTM

    JTM Ist fast schon zuhause hier

    All das kann bei der Gitarre genauso sein. Sattel ist zu hoch,Brücke ist zu hoch,Halskrümmung passt nicht,Saiten sind zu alt. Saiten sind zu nah am Tonabnehmer(Stratitis). Es gibt also auch da genug Gründe warum du eine Gitarre nicht Bundrein bekommst. Und bei der Gitarre kannst du das nicht ausgleichen,beim Sax schon
    das ging bei mir als Saxophonist eh vollkommen schief......mit der Trompete :D
     
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